Aktuelles von Pohlmann & Company

03.08.2022

Regierungsentwurf zum Hinweisgeberschutzgesetz veröffentlicht

Es wird langsam konkreter: Nachdem in der vergangenen Legislaturperiode noch ein Gesetzentwurf wegen Unstimmigkeiten in der großen Koalition über den Anwendungsbereich des Gesetzes gescheitert war, nimmt der Gesetzgebungsprozess nun Fahrt auf. Nachdem im April der Referentenentwurf (siehe unseren Blogbeitrag vom 12. April 2022) veröffentlicht worden war, der doch einige Veränderungen gegenüber dem Vorentwurf brachte, liegt nun der Regierungsentwurf (siehe hier) vor. Es wird auch Zeit, denn die zugrunde liegende Richtlinie (EU) 2019/1937 (EU-Whistleblower-Richtlinie (siehe hierzu unsere Blogbeiträge vom 18. März 2019 und vom 9. Oktober 2019) wäre bereits bis Dezember 2021 in deutsches Recht umzusetzen gewesen.

Anwendungsbereich

Gegenüber dem Referentenentwurf bringt der Regierungsentwurf kaum Neuerungen. Der Anwendungsbereich wurde etwas erweitert. So sind nun auch Meldungen über Verstöße gegen nationales und EU-Kartellrecht erfasst (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 8 HinwSchG-E). Das ist sinnvoll, denn über den allgemeinen Auffangtatbestand für Ordnungswidrigkeiten in § 2 Abs. 1 Nr. 1 HinwSchG-E konnten Kartellverstöße nicht erfasst werden. Dieser beinhaltet nur Bußgeldtatbestände zum Schutz von Leben oder Gesundheit oder der Rechte der Beschäftigten oder ihrer Vertretungsorgane. Angesichts der erheblichen Rechtsfolgen, mit denen Kartellverstöße typischerweise geahndet werden, bestünde ansonsten ein deutliches Ungleichgewicht, etwa wenn Meldungen leichter Verstöße gegen das ArbZG geschützt wären, Meldungen harter Preisabsprachen aber nicht.

Der durch die eingeschränkte Rechtsetzungskompetenz der EU bei der Richtliniensetzung beschränkte Anwendungsbereich des Hinweisgeberschutzgesetzes wird aber trotz der Erstreckung auf sämtliche Straftaten und einzelne Ordnungswidrigkeiten weiterhin gewisse Wertungswidersprüche beinhalten. So sind z.B. Beschäftigte, die Fälle sexueller Belästigungen unterhalb der Schwelle des Straftatbestandes des § 184i StGB melden, also z.B. rein verbale Belästigungen, nicht geschützt, obwohl solche Formen von Belästigungen nach § 3 Abs. 4 AGG als Benachteiligung, vor der ein Arbeitnehmer zu schützen ist, angesehen werden. Entsprechenden Vorwürfen muss ein Arbeitgeber trotzdem nachgehen. In der Gestaltung ihrer Whistleblower-Systeme tun Unternehmen daher gut daran, ihr Whistleblowing-System und den damit einhergehenden Schutz der meldenden Person vor Benachteiligungen (§ 36 HinwSchG) unabhängig vom Katalog der zu meldenden Rechtsverletzungen für alle denkbaren Rechtsverstöße und Sachverhalte zu öffnen.

Anonyme Meldungen

Obwohl im Gesetzgebungsverfahren vielfach kritisiert, sieht der Gesetzentwurf weiterhin keine harte Verpflichtung der Unternehmen vor, anonymen Meldungen nachzugehen. Immerhin wurden nun aber eine Soll-Vorschrift eingeführt, die besagt, dass anonyme Meldungen zumindest dann aufzuklären sind, wenn dadurch nicht die vorrangige Bearbeitung nicht anonymer Meldungen gefährdet wird, § 17 Abs. 1 S. 4 HinwSchG-E. Es besteht allerdings weiterhin keine Pflicht der Unternehmen, die Meldekanäle so zu gestalten, dass anonyme Meldungen ermöglicht werden. Mit dieser Ergänzung – wenn sie denn Gesetz werden wird – gibt der Gesetzgeber den Anwendern im Ergebnis Steine statt Brot. Was aussieht wie eine Erleichterung für die Unternehmen, nämlich anonyme Meldungen zunächst zurückstellen zu dürfen, wird sich in der praktischen Handhabung kaum umsetzen lassen. Sobald eine anonyme Meldung eingeht, wird diese immer darauf bewertet werden müssen, welche Schwere der vorgeworfene Verstoß hat und wie konkret die Meldung trotz ihrer Anonymität ist. Handelt es sich um einen schweren Verstoß und bietet die Meldung konkrete Anhaltspunkte für weitere Untersuchungen, wird sich schon aus allgemeinen Compliance-Gesichtspunkten ein Zurückstellen der Ermittlungen kaum rechtfertigen lassen; auch nicht mit Kapazitätsgesichtspunkten, wie in § 17 Abs. 1 S. 4 HinwSchG vorgesehen. Denn wenn solche Kapazitätsprobleme eintreten, liegt schnell der Vorwurf einer unzureichenden Ausgestaltung des Compliance-Management-System nahe. Man wird daher beim Report Intake und der Erstplausibilisierung und -bewertung der Meldungen berücksichtigen dürfen, wenn eine Meldung nur anonym abgegeben wurde. Völlig ignorieren oder zurückstellen können wird man sie aber auch bei ansonsten hohem Arbeitsanfall der Meldungen aber nicht.

Zentralisierung im Konzern

Der Entwurf macht zusätzlich deutlich, dass in Unternehmensgruppen und Konzernen nicht nur eine zentrale Meldestelle eingerichtet werden kann, sondern auch eine zentrale Einheit für Investigations vorgehalten werden kann. § 18 Nr. 4 lit a) HinwSchG-E sieht ausdrücklich vor, dass die interne Meldestelle das Verfahren zur weiteren Untersuchung an eine dafür vorgesehene Arbeitseinheit beim Beschäftigungsgeber oder bei der jeweiligen Organisationseinheit weitergeben kann. Das war nach der Begründung zu § 14 HinwSchG-E im Referentenentwurf noch etwas unklarer. Dort war zwar eine zentral im Konzern eingerichtete Meldestelle erwähnt, die „über technische Meldekanäle und Personal verfügt und auch interne Ermittlungen in den jeweils betroffenen Konzernteilen durchführen kann, wohingegen die Verantwortung und die Verpflichtung zum Abstellen des Rechtsverstoßes beim jeweiligen Tochterunternehmen“ verbliebe (RegE, S. 91). Diese zentrale Ermittlungseinheit wurde aber nur verschämt in der Gesetzesbegründung, nicht im Gesetzestext selbst erwähnt. Die Ergänzung im Gesetzestext ist deshalb begrüßenswert, dies auch schon deswegen, weil mit einer zentralisierten Stelle für die Entgegennahme von Meldungen und zur Umsetzung von Investigations für die Unternehmen, die auch nach dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) verpflichtet sind, ein gewisser Gleichlauf zum dort vorgesehenen Beschwerdemanagement nach § 8 LkSG hergestellt wird. Denn hier sieht bereits das Gesetz in § 8 Abs. 1 S. 6 LkSG eine externe – und damit erst recht auch konzerninterne – Auslagerung der Meldestelle vor.

Zusätzlich in die Gesetzesbegründung aufgenommen wurde der Hinweis, dass bei einer konzernzentralen Gestaltung des Hinweisgebersystems Meldungen in der Arbeitssprache des jeweils betroffenen Tochterunternehmens ermöglicht werden müssen.

Beweislastumkehr bei Repressalien

Die Gesetzesbegründung bringt zudem noch eine begrüßenswerte Klarstellung zur Beweislastumkehr bei mutmaßlichen Repressionsmaßnahmen. Hier sah schon der Referentenentwurf in § 36 Abs. 2 HinwSchG-E eine Vermutungsregelung vor, dass Benachteiligungen des Hinweisgebers im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit eine unzulässige Repressalie wegen der Meldung sind. Diese Regelung wurde nicht geändert. Die Gesetzesbegründung sieht aber Situationen vor, die geeignet sind, diese gesetzliche Vermutung zu widerlegen. Die in der Praxis bedeutsamste Situation ist die eigene Beteiligung der Hinweisgeberin an dem gemeldeten Verstoß. Auch diese Klarstellung ist begrüßenswert. Der Gesetzgeber nimmt damit der Hinweisgeberin die Möglichkeit, sich auch bei noch so schweren eigenen Verstößen gleichsam Immunität durch Abgabe eines Hinweises zu verschaffen, etwa wenn sie eine Aufdeckung des Verstoßes befürchten muss. Gleichwohl bleibt es in der Umsetzung des Gesetzes wichtig, einen Non-Retaliation-Management-Prozess vorzusehen, etwa in der Art, dass beabsichtigte personelle Maßnahmen von HR vorher mit der Meldestelle bzw. Compliance abzustimmen sind. Nur so können unbeabsichtigte Repressalien vermieden werden.

Kleinere Änderungen gab es noch bei den vorrangigen Sicherheitsinteressen, die bestimmte Meldungen aus dem Anwendungsbereich des Gesetzes herausnahmen. Nunmehr sollen auch Meldungen über Verschlusssachen der Stufe „Nur für den Dienstgebrauch“ zumindest gegenüber der internen behördlichen Meldestelle möglich sein. Höher klassifizierte Verschlusssachen, etwa der Stufen geheim und streng geheim, sind weiterhin nicht geschützt. Prominente politische Whistleblower wie Edward Snowden, Chelsea Manning oder Julian Assange blieben damit nach deutschem Recht weiterhin ungeschützt.

Handlungsdruck für Unternehmen

Das Gesetz soll unmittelbar nach der Sommerpause im Bundestag verhandelt und noch im November 2022 verabschiedet werden. Es soll dann drei Monate nach der Verkündung in Kraft treten. Dies wird in einem ersten Schritt – dann voraussichtlich ab Februar 2023 – zunächst Unternehmen mit 250 oder mehr Arbeitnehmerinnen erfassen. Kleinere Unternehmen mit 50 bis 249 Mitarbeitern werden nach der Übergangsregelung in § 42 HinwSchG noch bis Dezember 2023 Zeit haben. Angesichts des erheblichen Regelungsaufwands für die Einführung eines Whistleblower-Systems – der Betriebsrat muss einbezogen werden, eine unabhängige Stelle mit den notwendigen Prozessen zu Plausibilisierung und Bewertung eingehender Meldungen und zu deren Aufklärung muss eingerichtet werden – ist diese Zeit knapp bemessen.