Aktuelles von Pohlmann & Company

12.04.2022

Der 2. Anlauf – Referentenentwurf zum Hinweisgeberschutzgesetz vorgelegt

Der 2. Anlauf: Das Bundesjustizministerium legte vergangene Woche den Referentenentwurf zum Hinweisgeberschutzgesetz zur Umsetzung der EU-Whistleblower-Richtlinie vor

Einleitung

In einem zweiten Anlauf und mit dem Versprechen, hinweisgebende Personen besser zu schützen, nimmt das Bundesjustizministerium das Vorhaben erneut auf, die EU-Richtline zum Schutz von hinweisgebenden Personen (RL (EU) 2019/1937, EU-Whistleblower-RL) nunmehr in nationales Recht umzusetzen (sehen Sie hierzu unsere Blogbeiträge vom 18. März 2019, 9. Oktober 2019 und vom 18. Februar 2021). Zu diesem Zweck legte der Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) den Ministerien einen Referentenentwurf zum Hinweisgeberschutz (HinSchG-E) zur Abstimmung vor. Dieser entspricht in wesentlichen Teilen dem Gesetzesentwurf aus der vergangenen Legislaturperiode, der wegen Unstimmigkeiten innerhalb der Großen Koalition, was den Anwendungsbereich und die überschießende Umsetzung der EU-Whistleblower-Richtlinie betraf, letztlich der Diskontinuität zum Opfer gefallen war.

Es ist zu wünschen, dass im nunmehr zweiten Anlauf das Gesetzgebungsverfahren zügig voranschreitet – so ist davon die Rede, dass das Gesetz im Herbst in Kraft treten soll –, wurde doch jüngst bekannt, dass die Europäische Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen der nicht fristgerechten Umsetzung der EU-Richtlinie in nationales Recht eingeleitet hatte.

Der bislang unveröffentlichte Gesetzesentwurf des Bundesjustizministers enthält unter anderem die folgenden wesentlichen Regelungen:

Erstreckung des sachlichen Anwendungsbereichs auf nationales Recht

Vergleichbar dem ersten Gesetzesentwurf eröffnet auch der neuerliche HinSchG-E den sachlichen Anwendungsbereich auf die Meldung und Offenlegung bestimmter Verstöße gegen nationales Recht. Hatten sich CDU/CSU in der vorangegangenen Legislaturperiode noch vehement gegen eine Ausweitung des sachlichen Anwendungsbereichs auf Verstöße gegen von der Richtlinie nicht vorgegebene Regelungen des nationalen Recht gewehrt, sieht der aktuelle HinSchG-E die Einbeziehung eines jeden Straftatbestandes sowie bestimmter Ordnungswidrigkeiten vor. In der Gesetzesbegründung heißt es, dies solle Wertungswidersprüche vermeiden und die praktische Anwendung sowohl für hinweisgebende Personen als auch für die Meldestellen handhabbar machen. Anders als der vorherige Entwurf sollen bußgeldbewehrte Verstöße jedoch nur einbezogen werden, soweit die verletzte Norm dem Schutz von Leben, Leib oder Gesundheit oder dem Schutz der Rechte von Beschäftigten und ihrer Vertretungsorgane dient. Daneben umfasst der HinSchG-E noch einen Katalog weiterer Rechtsverstöße zur Bekämpfung bestimmter, in der EU-Whistleblower-RL vorgesehener Gefahren (etwa Geldwäsche, Produkt-, Verkehrs-, Lebensmittelsicherheit), geht in diesem aber in Teilen über den – auf die EU-Rechtsetzungskompetenz beschränkten – Katalog der EU-Whistleblower-RL hinaus (etwa Verstöße zur Regelung der Rechte von Aktionären einer AG).

Interne und externe Meldesysteme

Der HinSchG-E sieht zwei gleichwertig nebeneinanderstehende Meldewege in Form eines internen Meldekanals innerhalb des Unternehmens oder der Behörde und eines externen Meldekanals bei einer unabhängigen Stelle vor, zwischen denen die hinweisgebende Person frei wählen kann. Das ist eine der grundlegenden Anforderungen der EU-Richtlinie und stellt insofern eine Änderung zu der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts dar, das einen Vorrang der Nutzung interner Meldekanäle vorsah, solange dies Hinweisgebenden nicht unzumutbar war (vgl. z.B. BAG, Urteil v. 03.07.2003 – 2 AZR 235/02). Beide Meldekanäle müssen Vertraulichkeit wahren.

Was die Umsetzungsfristen betrifft, sind natürliche und juristische Personen des privaten Rechts, rechtsfähige Personengesellschaften und sonstige Personenvereinigungen mit mindestens 250 Beschäftigten ab dem Inkrafttreten des HinSchG-E zur Einrichtung eines internen Meldesystems für ihre Beschäftigte verpflichtet.  Organisationseinheiten mit 50 Beschäftigten hingegen trifft die Verpflichtung erst zum 17. Dezember 2023. Bestimmte Organisationseinheiten wie Wertpapierdienstleistungsunternehmen oder Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute trifft diese Pflicht unabhängig von der Anzahl ihrer Beschäftigten. Für Beschäftigungsgeber aus dem öffentlichen Recht bestimmen die obersten Bundes- oder Landesbehörden Organisationseinheiten zum Betrieb interner Meldestellen.

Eine Übertragung der Aufgaben einer internen Meldestelle auf externe Dritte, etwa auf Rechtsanwälte, lässt der Entwurf ausdrücklich zu, betont aber, dass in diesem Fall Unternehmen nicht von ihrer Pflicht entbunden werden, selbst geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um einen etwaigen Verstoß abzustellen.

Zentrale Lösung für Konzerngesellschaften

Weiteren Diskussionsbedarf werden aller Voraussicht nach die Ausführungen zu zentralen Systemen für Konzerne auslösen. Noch im Juni 2021 hatte die EU-Kommission – nach mehreren Anfragen verschiedener Konzerne – in ihren Stellungnahmen zentral gesteuerten Hinweisgebersystemen in Konzernen eine klare Absage erteilt.

Diesen Weg scheint der Gesetzentwurf nicht mitzugehen. Wenn auch etwas versteckt erst in der Gesetzesbegründung zu § 14 Abs. 1 HinSchG-E stellt der Gesetzentwurf klar, dass bei Konzernen eine unabhängige, vertrauliche Meldestelle eingerichtet werden kann, die für mehrere selbständige Unternehmen im Konzern tätig wird. Das ist begrüßenswert. Die originäre Verantwortung für die Behebung und Weiterverfolgung eines Verstoßes, so heißt es weiter, soll dabei stets bei der jeweiligen Gesellschaft selbst verbleiben. In jedem Fall sind die Unabhängigkeit der zentralen Meldestelle und die Vertraulichkeit der Identität der hinweisgebenden Person zu gewährleisten. Damit lässt der Entwurf in seiner aktuellen Fassung ausdrücklich die Errichtung und den Betrieb einer zentralen Konzernmeldestelle – sei es durch die Mutter-, Tochter- oder auch Schwestergesellschaft – zu und beantwortet damit immerhin die grundsätzliche Frage nach dem „Ob“.

Unbeantwortet bleibt hingegen die Frage nach der konkreten Ausgestaltung dieser Konzernmeldestelle. Denn die Möglichkeit der Übertragung der Aufgaben einer internen Meldestelle bezieht sich ausweislich des Gesetzeswortlautes auf die „Aufgaben der internen Meldestelle“ insgesamt, was nach § 13 HinSchG-E auch die Durchführung der internen Untersuchung sowie das Ergreifen von Folgemaßnahmen umfasst. Da Verantwortung und Verpflichtung zum Abstellen des Rechtsverstoßes jedoch ausdrücklich bei der jeweiligen Gesellschaft verbleiben, bleibt also offen und insofern abzuwarten, wie die gesetzgeberischen Vorstellungen zur Ausgestaltung der zentralen Meldestelle ausfallen sollen. Besonderes Augenmerk wird hierbei zu richten sein auf die Überwachung dieser zentralen Stelle durch die jeweils betroffenen Konzerngesellschaften, was faktisch auf ein gesetzlich gefordertes Monitoring der Muttergesellschaft durch ein Tochterunternehmen hinauslaufen wird, aber auch auf die in der Gesetzesbegründung knapp erwähnten Berichtspflichten an die Konzernleitung sowie auf die Gewährleistung der zwingend zu wahrenden Unabhängigkeit und Vertraulichkeit.

Im Falle von (EU-)multinationalen Sachverhalten weist die Gesetzesbegründung darauf hin, dass stets das Recht des jeweiligen Mitgliedstaates gilt, was angesichts der möglichen Unterschiede bei der Umsetzung der EU-Richtlinie in nationales Recht und angesichts der variierenden Vorgaben dort, wo Mitgliedstaaten von der eigenen Regelungskompetenz Gebrauch machen können, ebenfalls Fragen nach der konkreten Ausgestaltung einer Meldestelle aufwirft, die mehreren europäischen Umsetzungsgesetzen unterliegt. Die Gesetzesbegründung sieht dieses Problem, ohne Licht ins Dunkel zu bringen.

 Schaffung anonymer Meldekanäle fakultativ

Die EU-Whistleblower-RL hatte es den Mitgliedstaaten überlassen zu entscheiden, ob anonyme Meldungen entgegengenommen und weiterverfolgt werden sollen und damit, ob anonyme Hinweisgebende den Schutz der Richtlinie genießen. Diesen Punkt hat der HinSchG-E nunmehr aufgenommen und klarstellend normiert, dass es den zur Errichtung von Meldestellen Verpflichteten überlassen ist, anonyme Meldekanäle zu schaffen. In jedem Fall sind weder interne noch externe Meldekanäle zur Bearbeitung anonymer Meldungen verpflichtet. Ausweislich der Gesetzesbegründung sollen einerseits das Hinweisgeberschutzsystem nicht überlastet und andererseits zunächst erste Erfahrungen abgewartet werden.

Öffentliche Offenlegung als letztes Mittel – Stufenverhältnis

Wie auch der vorherige Gesetzesentwurf legt der aktuelle HinSchG-E die Voraussetzungen fest, wonach hinweisgebende Personen vom Schutzbereich des Gesetzes erfasst sind, die Informationen über Verstöße nicht über interne oder externe Kanäle melden, sondern diese unmittelbar der Öffentlichkeit (Medien, soziale Netzwerke) zugänglich machen. Dies soll im Einklang mit der EU-Whistleblower-RL nur unter engen Voraussetzungen, als letztes Mittel und nachrangig möglich sein, etwa wenn die hinweisgebende Person nach Meldung eines Verstoßes an eine externe Meldestelle innerhalb des vorgegebenen Zeitraums keine Rückmeldung – auch zu Folgemaßnahmen – erhalten hat. Gleiches gilt für den Fall, dass die hinweisgebende Person hinreichenden Grund zur Annahme hatte, dass etwa eine Gefahr irreparabler Schäden droht oder Beweismittel unterdrückt oder vernichtet werden könnten. Selbstverständlich genießt die hinweisgebende Person nur dann den Schutz des Gesetzes, wenn sie in gutem Glauben über die Richtigkeit der Information war.

 Ausblick

Unternehmen mit mindestens 250 Beschäftigten, die derzeit noch kein Hinweisgebersystem eingerichtet haben – laut Angaben der Gesetzesbegründung immerhin noch knapp über 4.300 – sollten sich aufgrund der ausdrücklich normierten Errichtungspflicht dringend der Thematik annehmen und ein internes, den Vorgaben des künftigen Gesetzes entsprechendes Hinweisgebersystem einrichten.

Kritisch hinterfragt werden kann die Eingrenzung des sachlichen Anwendungsbereichs auf Verstöße gegen bestimmtes nationales Recht – birgt dies doch die Gefahr, dass nicht alle zu meldenden Vorwürfe erfasst werden. Dies wiederum führt in der Konsequenz dazu, dass die hinweisgebende Person den Inhalt ihrer Meldung einer juristischen Wertung unterziehen müsste, um in Erfahrung zu bringen, ob sie den Schutz vor Benachteiligung – nichts anderes intendiert das Gesetz – genießt oder nicht. In der Praxis haben die meisten Unternehmen ihre Hinweisgebersysteme ohnehin auch für die Meldung von Verstößen gegen interne Compliance-Richtlinien eröffnet, sodass zumindest das Reporting möglich ist. Dass zudem keine Pflicht zum Vorhalten von Systemen für anonyme Meldungen und deren Bearbeitung kodifiziert wird, mag für die hinweisgebende Person ebenfalls kritisch zu betrachten sein. Dagegen haben viele Unternehmen bereits ein anonymes Reporting-System implementiert, um die Hürden für eine Meldung eines Fehlverhaltens möglichst niedrig zu halten, was im Interesse des Unternehmens liegt. Man wird schließlich auch in Zukunft anonyme, aber plausible Meldungen nicht völlig ignorieren, soweit eine aus allgemeinen Compliance-Anforderungen herrührende faktische Aufklärungspflicht besteht. Auch bleibt abzuwarten, ob die hinweisgebenden Personen tatsächlich abgeschreckt werden, Missstände und Verstöße zu melden.

Sehr zu begrüßen ist die zu Tage tretende Haltung des Gesetzgebers zur Einrichtung zentraler Meldestellen, auch wenn der Gesetzesentwurf zu deren konkreter Ausgestaltung schweigt. Gerade für Konzerne kann es attraktiv sein, eine zentral arbeitende Stelle einzurichten, die über die notwendigen Mittel, die erforderliche Expertise sowie die unerlässliche Erfahrung im Bereich interner Untersuchungen verfügt. Zudem werden Whistleblower oftmals ein gewisses Interesse daran haben, ihre lokale Einheit zu „überspringen“ und die Sachaufklärung in den Händen einer Konzernobergesellschaft zu wissen.

Für Unternehmen mit einem effektiven Compliance-Management-System, dessen Bestandteil ein funktionierendes und die Grundprinzipien wahrendes Hinweisgebersystem ist, mögen die aufgezeigten Änderungen „lediglich“ Klarheit schaffen. Eine Überprüfung der bestehenden Systeme auf ihre künftige Rechtskonformität ist selbstverständlich ratsam.

Gerne stehen wir Ihnen dabei jederzeit als erfahrene Berater zur Seite.