„Ökozid“-Richtlinie vom Rat beschlossen
Am 26. März 2024 hat der Rat der Europäischen Union die sog. „Ökozid“-Richtlinie angenommen (Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt und zur Ersetzung der Richtlinien 2008/99/EG und 2009/123/EG, abrufbar hier). Auch wenn die Begrifflichkeit „Ökozid“ von der Richtlinie nicht verwandt wird, werden mit dieser Richtlinie eine Reihe von Umweltdelikten in die nationalen Strafrechtsordnungen eingeführt werden, die „vergleichbar dem Ökozid“ erhebliche Schäden an Natur und Umwelt verursachen. Unterhändler von Rat und EU-Parlament hatten bereits am 7. Dezember 2023 eine Einigung über den von der Kommission vorgelegten Richtlinienentwurf erzielt. Das Parlament stimmte dem Entwurf am 27. Februar 2024 zu (siehe hier). Nach der jetzt stattgefunden Zustimmung des Rats kann die Richtlinie nach Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft treten. Die Mitgliedstaaten haben dann zwei Jahre Zeit, die Richtlinie umzusetzen (Art. 24).
In der Richtlinie aufgeführte Straftatbestände
Die Richtlinie schafft eine erhebliche Zahl neuer Straftatbestände. In Art. 3 Abs. 2 sind nunmehr insgesamt 20 unterschiedliche Delikte vorgesehen, die unter Strafe zu stellen sind, darunter einige, die bereits in der Vorgängerrichtlinie (Richtlinie 2008/99/EG) erfasst waren, aber auch viele neue Straftatbestände. Den Straftatbeständen gemein ist, dass als Taterfolg stets der Tod oder die schwere Körperverletzung von Personen oder erhebliche Schäden an einem Ökosystem, Tieren oder Pflanzen durch das Verhalten verursacht wurde oder dass das Verhalten geeignet ist, solche Schäden zu verursachen. Wie bereits bisher sind als Tathandlung folgende Verhaltensweisen unter Strafe zu stellen:
- Luft-, Boden- und Wasserverschmutzung
- Nicht sachgerechter Umgang mit Abfällen
- Meeresverschmutzung durch Schiffe
- Errichten, Betreiben und Abbauen von umweltgefährdenden Anlagen
- Nicht sachgemäßer Umgang mit radioaktivem Material
- Erhebliche Beeinträchtigung geschützter Pflanzen- und Tierarten
- Erhebliche Schädigung geschützter Gebiete
- Herstellung, Inverkehrbringen, Einfuhr, Ausfuhr, Verwendung oder Freisetzung von ozonabbauenden Stoffen
Diese Anforderungen sind im deutschem Recht bereits in den §§ 324 ff. StGB sowie in Tatbeständen des Nebenstrafrechts, bspw. in § 18a AbfVerbrG umgesetzt. Neu geregelt ist insbesondere, dass die folgenden Handlungen unter Strafe gestellt werden müssen:
- Inverkehrbringen von umweltschädlichen Erzeugnissen
- Herstellung, Inverkehrbringen, Bereitstellung auf dem Markt, Ausfuhr oder Verwendung von gefährlichen Stoffen
- Herstellung, Verwendung, Lagerung, Einfuhr oder Ausfuhr von Quecksilber
- Durchführung bestimmter Vorhaben ohne erforderliche Genehmigung
- Schiffsrecycling
- Entnahme von Grundwasser
- Inverkehrbringen von illegal geschlagenen Hölzern
- Tötung, Zerstörung, Entnahme, Besitz, Verkauf oder anbieten zum Verkauf bestimmter wild lebender Tier- oder Pflanzenarten oder Handel mit diesen Arten
- Schädigung des Lebensraumes einer besonders geschützten Tierart
- Einbringen von invasiven Arten
- Herstellung, Inverkehrbringen, Einfuhr, Ausfuhr, Verwendung oder Freisetzung fluorierter Treibhausgase
Den Mitgliedstaaten wird darüber hinaus aufgegeben, Qualifikationstatbestände vorzusehen für den Fall, dass die Handlungen ein Ökosystem von beträchtlicher Größe oder ökologischen Wert, einen Lebensraum innerhalb eines geschützten Gebiets oder die Luft-, Boden- oder Wasserqualität zerstört oder irreversibel oder dauerhaft großflächig und erheblich schädigt. Für die meisten Straftatbestände, darunter die Luft-, Boden- oder Wasserverschmutzung, Schädigung des Lebensraums bestimmter Tierarten ist zudem vorgesehen, dass auch eine Strafbarkeit für grobe Fahrlässigkeit, im deutschen strafrechtlichen Kontext in der Regel Leichtfertigkeit genannt, geschaffen werden soll.
Vorgaben zu den Strafrahmen
Die Richtlinie macht überdies sehr konkrete Vorgaben für Sanktionen gegen natürliche Personen insbesondere legt die Richtlinie Mindest-Höchststrafen fest, die bei drei, fünf, acht und zehn Jahren Freiheitsstrafe liegen sollen. Diese Strafrahmensystematik wird sich nicht ohne weiteres in die Höchststrafen, die das deutsche Strafrecht bislang vorsieht, einfügen lassen. Denn im deutschen Strafrecht sind die Stufen ein, zwei, drei, fünf und zehn Jahre vorgesehen. Die Mindest-Höchststrafe von acht Jahren wird dann vermutlich mit Sprung auf die nächsthöhere Stufe von zehn Jahren umgesetzt werden müssen. Weitergehende Rechtsfolgen für natürliche Personen, beispielsweise die Verpflichtung, den vorherigen Zustand der Umwelt innerhalb einer bestimmten Frist wiederherzustellen, das Verbot in juristischen Personen eine leitende Stellung zu bekleiden, das vorübergehende Verbot einer Kandidatur für öffentliche Ämter, sind optional ausgestaltet.
Rechtsfolgen gegen juristische Personen
Gleiches gilt auch für Rechtsfolgen gegen juristische Personen. Hier sieht die Richtlinie optionale Rechtsfolgen wie den Ausschluss von Subventionen und Ausschreibungen, das vorübergehende oder dauerhafte Verbot der Geschäftstätigkeit, die Entziehung von Genehmigungen, die Pflicht zur Umsetzung eines Umwelt-Compliance-Management-Systems oder sogar die gesellschaftsrechtliche „Todesstrafe“ (Auflösung der Gesellschaft) vor. Zwingende Rechtsfolgen sind hingegen die Verhängung von Geldstrafen oder Geldbußen. Das Höchstmaß der Geldstrafen oder Geldbußen darf bei bestimmten schweren Straftaten 5 % des weltweiten Gesamtumsatzes der juristischen Person oder einen Betrag von EUR 40,0 Mio. und bei bestimmten weniger schweren Straftaten 3 % des weltweiten Gesamtumsatzes oder ein Betrag von EUR 24,0 Mio. nicht unterschreiten.
Die Richtlinie sieht als Milderungsgrund ausdrücklich vor, dass der Täter bzw. die zu sanktionierende juristische Person vor Beginn der strafrechtlichen Ermittlungen Maßnahmen zur Begrenzung oder Behebung des Schadens ergreift oder den Behörden hilft, Beweise zu sammeln oder den Täter zu ermitteln. Es ist also eine Form der wenn auch nicht strafbefreienden so doch strafmildernden Selbstanzeige bzw. Anzeige der handelnden natürlichen Personen notwendig. Auch werden Unternehmen dazu gezwungen sein, dem Verdacht auf von ihnen verursachten Umweltschäden umgehend im Rahmen interner Ermittlungen nachzugehen, um in den Genuss solcher mildernder Maßnahmen zu gelangen.
Die Systematik der Bußgeldbemessung wird zu einem grundlegenden Systemwechsel im deutschen Strafrecht bei der Umsetzung führen müssen. Bislang können juristische Personen nur über § 30 OWiG bebußt werden. Dies kann auch weiterhin so bleiben. Die Richtlinie verlangt ausdrücklich keine Kriminalstrafe, sondern lässt auch ein Bußgeld zu. Rechtsfolge einer Bebußung nach § 30 OWIG ist allerdings ein Bußgeld bis zu EUR 10,0 Mio. Ein prozentual am Umsatz bemessenes Bußgeld ist dort nicht vorgesehen. Dies sieht das deutsche Strafrecht nur für einzelne Ordnungswidrigkeitentatbestände vor, in denen das ausdrücklich festgelegt ist, zB §§ 81c Abs. 2 GWB, 56 Abs. 3 S. 4 GwG, 24 Abs. 3 S. 1 LkSG. Für die Verhängung eines Bußgeldes aufgrund einer Straftat als Anknüpfungsstat ist dies bislang nicht vorgesehen. Diese systematische Friktion lässt sich nur dadurch lösen, dass der Bußgeldrahmen in § 30 Abs. 2 OWiG erhöht wird, um die von der Richtlinie verlangen Höchstgrenzen in absoluten Zahlen (EUR 40,0 Mio.) im Sanktionsteil verhängen zu können oder dass eine allgemeine Ergänzung des § 30 OWiG eingeführt wird, nach der bei Straftaten, die auf diese Vorschrift verweisen, auch ein prozentuales Bußgeld verhängt werden kann, vergleichbar § 30 Abs. 2 S. 3 OWiG. Auch ist es sinnvoll, hier bereits eine Milderungsmöglichkeit für den Fall der Selbstanzeige oder der durchgeführten internen Ermittlungen und Auslieferung der handelnden natürlichen Personen vorzusehen, also einen faktischen Zwang zu internen Ermittlungen.
Wenn jeweils solche Regelungen eingeführt werden, scheint auch der Weg für eine grundlegendere Überarbeitung des Sanktionenrechts für juristische Personen und Personenvereinigungen, wie sie bei der geplanten Einführung des Verbandssanktionengesetzes schon einmal angedacht war, geebnet. So kann es sein, dass über den Umweg des Umweltstrafrechts ein neuer Anlauf zur Umgestaltung des Verbandssanktionenrechts in Deutschland genommen wird.
Verwaltungsakzessorietät des Umweltstrafrechts
Besonderheiten ergeben sich auch in der verwaltungsrechtlichen Systematik. So war es bislang ein Charakteristikum des deutschen Umweltstrafrechts, dass die Straftatbestände „verwaltungsakzessorisch“ sind, eine Strafbarkeit also nicht in Betracht kam, wenn die handelnden Personen sich innerhalb einer behördlichen Genehmigung bewegt haben. Diese Akzessorietät wird durch die Richtlinie ein Stück weit gelockert werden. So ist zwar bislang in § 330d Abs. 1 Nr. 5 StGB schon vorgesehen, dass eine zwar bestandskräftige, aber durch arglistige Täuschung oder unrichtige Angaben erschlichene Genehmigung keine tatbestandsausschließende Wirkung hat. Die Richtlinie geht aber darüber hinaus und sieht auch vor, dass Genehmigungen, die offensichtlich gegen die einschlägigen materiellrechtlichen Anforderungen verstoßen, ebenfalls keine tatbestandsausschließende Wirkung haben sollen. Dies ist bislang zwar auch für Genehmigungen in Form eines nichtigen Verwaltungsakts nach § 44 VwVfG anerkannt. Dessen Nichtigkeitsanforderung sind aber strenger, sie verlangen, dass der Verwaltungsakt an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies offensichtlich ist. Es genügt also nicht jede offensichtliche Rechtswidrigkeit.
Öffentlichkeitsbeteiligung im Strafverfahren
Neu ist auch die Regelung in Art. 15 der Richtlinie. Dort ist eine umfassende Beteiligung von Personen vorgesehen, die „ein ausreichendes Interesse haben oder eine Rechtsverletzung geltend machen, sowie Nichtregierungsorganisationen, die sich für den Umweltschutz einsetzen“. Da die Umwelt sich nicht selbst vertreten kann, soll hier eine sehr weitgehende Beteiligung von Umweltverbänden geregelt werden. Dies war im ursprünglichen Vorschlag der Kommission noch ohne Ausnahme vorgesehen. Dies war auf Bedenken insbesondere des Bunderates gestoßen (BR-Drucks. 27/22, S. 10, siehe hier), da das deutsche Strafrecht zwar die Beteiligung des Verletzten als Nebenkläger vorsieht, aber nicht die stellvertretende Beteiligung von Verbänden. Dies widerspräche auch dem Gewaltmonopol des Staates und der hoheitlichen Ausgestaltung des Strafverfahrens. In der jetzt beschlossenen Form sollen diesen Personen und Verbänden deshalb Verfahrensrechte nur so weit eingeräumt werden, wie dies in den jeweiligen Strafverfahrensordnungen der Mitgliedsstaaten generell vorgesehen ist. Da eine solche Beteiligung in Deutschland nicht vorgesehen ist, ist auch nicht mit einer Änderung im Strafverfahrensrecht zu rechnen.
Fazit
Im Ergebnis wird die Ökozid-Richtlinie damit einige Änderungen für das deutsche Umweltstrafrecht und damit einhergehende verwaltungsrechtliche Genehmigungsverfahren mit sich bringen. Diese beschränken sich nicht auf das Umweltstrafrecht, sondern haben mit der bei Straftaten erstmals vorgesehenen prozentualen Bemessung von Geldbußen für juristische Personen anhand des Umsatzes und der zwingenden Milderungsmöglichkeit bei internen Ermittlungen das Zeug, zu einer grundlegenden Änderung der Sanktionierung von Verbänden zu führen, bis hin zu einem neuen Anlauf für ein Verbandssanktionenrecht.
Auch wenn die Richtlinie hinter vielen Forderungen, insbesondere den Forderungen zur Einführung eines umfassenden Ökozid-Tatbestandes oder der generellen Kriminalisierung der übermäßigen Emission von Treibhausgasen zurückgeblieben ist, wird sie doch zu einer erheblichen Ausweitung der Verantwortlichkeit von Unternehmen für von ihnen verursachte Umweltschäden führen. Umso wichtiger ist es für Unternehmen, bereits jetzt eine sinnvolle Umwelt-Compliance einzurichten und einem Verdacht auf Umweltverstöße im Rahmen von internal Investigations umgehend nachzugehen.