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26.04.2023

EU-Parlament stimmt für neue Verordnung über entwaldungsfreie Produkte in der Lieferkette

Das Europäische Parlament hat am 19. April 2023 die Verordnung über entwaldungsfreie Produkte in der Lieferketten (Entwaldungsverordnung) angenommen [1]. Die Rückverfolgung und geografische Lokalisierung der Herkunft von Waren wie Rinder, Kaffee, Kakao, Palmöl, Soja, Holz und Kautschuk wird für europäische Unternehmen, die solche Waren oder daraus hergestellte Erzeugnisse (z.B. Leder, Schokolade, Möbel oder bedrucktes Papier) auf dem europäischen Markt anbieten oder in Drittländer exportieren wollen, bald verpflichtend sein. Neuartige Technologien wie KI-basierte Satelliten-Fernerkundung („Remote Sensing“) könnten daher bald eine größere Rolle spielen, sowohl für die zuständigen europäischen Behörden, die solche Aktivitäten kontrollieren müssen, als auch für die Unternehmen selbst, die den Behörden eine Sorgfaltserklärung vorlegen müssen. Die neue Verordnung erfordert eine Verlagerung der Due Diligence von der ausschließlichen Fokussierung auf den Geschäftspartner als Unternehmen hin zu den jeweils gelieferten Produkten. 

Die Waldflächen nehmen weltweit ab. Um genau zu sein: um 10 Millionen Hektar pro Jahr. Das entspricht etwa der Größe Portugals. Mit dieser Warnung eröffnete Christophe Hansen, Europaabgeordneter der konservativen Europäischen Volkspartei und Berichterstatter, am Montag (17. April) die Debatte im Europäischen Parlament und forderte seine Kollegen auf, für die neue Verordnung zur Eindämmung der weltweiten Entwaldung zu stimmen [2].

Die neue Entwaldungsverordnung, die auch die bisher geltende Holzhandelsverordnung (EU-Verordnung 995/2010) aufhebt und ersetzt, ist ein wichtiger Meilenstein nicht nur im Kampf gegen den Klimawandel und den Verlust der biologischen Vielfalt, sondern auch gegen die organisierte Kriminalität. Laut Interpol erwirtschaftet der illegale Holzeinschlag jährlich rund 50 Milliarden Dollar und ist neben dem Drogen- und Waffenhandel mittlerweile einer der lukrativsten Sektoren im Bereich der organisierten Kriminalität [3]. Erst kürzlich hat eine neue grenzüberschreitende Untersuchung unter der Leitung des International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) aufgezeigt, wie die illegale Abholzungsindustrie häufig von Umweltprüfungsunternehmen gedeckt wird, die eklatante Umweltschäden ignorieren oder nicht erkennen und damit die Praktiken von Holzfällern und anderen Kunden fälschlicherweise als nachhaltig zertifizieren [4].

Mit der Entwaldungsverordnung wird die Verantwortung auf europäischen Unternehmen und Händler verlagert, die nun verpflichtet sind, sicherzustellen, dass die Produkte weder zur Entwaldung noch zur Schädigung der Wälder beigetragen haben. Die Entwaldungsverordnung sieht ein Verbot für alle relevanten Produkte vor,

  • die nicht „entwaldungsfrei“ hergestellt wurden, d.h. die nicht auf Flächen produziert wurden, die nach dem 31. Dezember 2020 zur Entwaldung oder Waldschädigung beigetragen haben;
  • die nicht in Übereinstimmung mit der jeweiligen nationalen Gesetzgebung im Produktionsland hergestellt wurden;
  • die nicht durch eine Sorgfaltserklärung abgedeckt sind.

Dabei muss die Sorgfaltserklärung das Ergebnis eines vorangegangenen Sorgfaltsprüfungsprozesses („supply chain due diligence“) für die relevanten Produkte sein. Dieser Prozess umfasst die Sammlung von Informationen, eine Risikobewertung und die Bestimmung von daraus resultierenden Maßnahmen zur Risikominderung. Neu ist dabei, dass Marktteilnehmer und Händler im Rahmen der Informationsbeschaffung nicht nur das Produktionsland angeben müssen, sondern auch die genaue geografische Lage der einzelnen Parzellen. Bei Rindern bezieht sich diese Anforderung entsprechend auf die Identifizierung von Weidefläche, auf denen die Rinder gehalten wurden.

In einer globalisierten Welt, in der Unternehmen oft Tausende von Zulieferern auf der ganzen Welt haben, wird die Umsetzung solcher rechtlichen Anforderungen eine große Herausforderung. Insbesondere die Unterscheidung der ursprünglichen Bestandteile in verarbeiteten Produkten oder die Rückverfolgbarkeit gemischter Produkte, die in einem Container transportiert werden, sind nur Beispiele für potenzielle Hindernisse in der Umsetzung.

Die Entwaldungsverordnung muss nun noch vom Rat förmlich gebilligt werden. Anschließend wird sie im Amtsblatt der EU veröffentlicht, und 20 Tage später tritt sie in Kraft. Innerhalb von 18 Monaten nach Inkrafttreten der Verordnung werden das Verbot und die neuen Sorgfaltspflichten wirksam werden, d.h. voraussichtlich Ende 2024. Den betroffenen Marktteilnehmern, Händlern und Importeuren bleiben also nur noch eineinhalb Jahre Zeit, um die Einhaltung des neuen Rechtsrahmens sicherzustellen.

Die Europäische Kommission wird bis dahin weitere Durchführungsrechtsakte erlassen und einzelne Länder oder Teile davon in drei Risikoklassen (gering, normal und hoch) einteilen. Für Erzeugnisse aus Ländern mit geringem Risiko gilt dann ein vereinfachtes Verfahren zur Erfüllung der Sorgfaltspflicht. Zugleich wird das Risikoniveau des jeweiligen Landes die zukünftige behördliche Kontrollfrequenz bestimmen.

Unternehmen, die diese neuen Anforderungen nicht erfüllen, riskieren die Beschlagnahme der betreffenden Produkte und der aus dem illegalen Handel erzielten Einnahmen sowie ein Verbot der gewerblichen Tätigkeit auf dem EU-Markt. Außerdem droht ihnen eine Geldstrafe in Höhe von mindestens 4% des gesamten Jahresumsatzes in der EU.

Pohlmann & Company wird die Einzelheiten der Entwaldungsverordnung demnächst in seiner ESG/Compliance-Lunch Break Out Series ausführlich vorstellen und vertieft diskutieren.

 

Link zur Verordnung