Aktuelles von Pohlmann & Company

24.04.2020

Das VerSanG kommt – Referentenentwurf des BMJV veröffentlicht

In unserem Blogbeitrag vom 29.08.2019 haben wir erstmals über den – damals noch inoffiziell zirkulierenden – Entwurf für ein “Gesetz zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität” und das darin insbesondere vorgesehene “Gesetz zur Sanktionierung von verbandsbezogenen Straftaten” (Verbandssanktionengesetz – “VerSanG”) informiert.

In den letzten acht Monaten hat es zu den Inhalten dieses Gesetzesvorhabens intensive Diskussionen in der Fachwelt und Presse sowie insbesondere auch zwischen den Koalitionspartnern gegeben. Am 22.04.2020 hat nun das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (“BMJV) unter neuem Titel den Referentenentwurf für ein “Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft” veröffentlicht. Kernstück des Entwurfs ist unverändert der Erlass des 68 Paragraphen starken VerSanG. Inhaltlich wurde jedoch weniger geändert als diskutiert und vielleicht erwartet.

 

Zusammengefasst

Neu ist insbesondere:

  • Sanktioniert werden fortan sogenannte Verbandstaten (nicht mehr „Verbandsstraftaten“); Verbandstaten gegen den Verband selbst (z.B. Untreue) sind hingegen ausgenommen
  • Das VerSanG gilt nur noch für Verbände, die auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb ausgerichtet sind
  • Die Auflösung von Verbänden als Ultima Ratio der Sanktionierung ist entfallen
  • Die Durchführung einer internen Untersuchung soll (nicht mehr nur “kann”) zu einer Milderung der Verbandsgeldsanktion um 50 Prozent führen; die Anforderungen für eine Milderung wurden weiter konkretisiert
  • Die Verurteilung eines Verbandes soll zur Information der durch die Verbandstat Geschädigten öffentlich bekannt gemacht werden

Unverändert wesentlich bleibt:

  • Im Hinblick auf die Verfolgung von Verbandstaten gilt das Legalitätsprinzip, ein Ermessen der Strafverfolgungsbehörden besteht nicht (mehr)
  • Vorgesehen sind Verbandsgeldsanktionen von bis zu zehn Millionen Euro für vorsätzlich begangene Taten bzw. fünf Millionen Euro bei Fahrlässigkeit; allerdings gilt für Verbände mit einem durchschnittlichen Jahresumsatz von mehr als 100 Millionen Euro ein Strafrahmen, der bis zu 10 Prozent (bei vorsätzlichen Verbandstaten)  bzw. 5 Prozent (bei fahrlässigen Verbandstaten) des durchschnittlichen Jahresumsatzes betragen kann
  • Interne Untersuchungen sollen getrennt und unabhängig von der Unternehmensverteidigung erfolgen
  • Beschlagnahmefreiheit für Unterlagen nur im Rahmen eines geschützten Vertrauensverhältnisses zwischen einem bereits im Beschuldigtenstatus befindlichen Verbandes und seinem zeugnisverweigerungsberechtigten Verteidiger
  • Das VerSanG enthält keine konkreten Vorgaben dahingehend, wie etwaige Compliance-Maßnahmen (vor oder im Nachgang zur Verbandstat) im Rahmen der Strafverfolgung und Sanktionierung zu berücksichtigen sind
  • Auferlegt werden können Verbänden die Umsetzung angemessener Compliance-Weisungen sowie deren Prüfung und Nachweis durch eine “sachkundige Stelle” (Compliance Monitor)
  • Es verbleibt bei der Einrichtung eines – nicht öffentlich zugänglichen – Verbandssanktionenregisters

 

Zu den Änderungen im Detail

– Regelungsbereich: Verbände mit wirtschaftlichem Geschäftsbetrieb

Nach der Neufassung des Referentenentwurfes gilt das VerSanG nur noch für die Sanktionierung von Verbänden, deren Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist. In der Entwurfsbegründung heißt es hierzu: “Bei Verbänden, deren Zweck nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, […] soll es keine Anwendung finden. Hier verbleibt es bei einer Ahnung des Verbandes nach § 30 OWiG.”

Ob ein wirtschaftlicher Zweck verfolgt wird, soll sich vor allem nach den im Privatrecht entwickelten Grundsätzen für die Unterscheidung zwischen ideellen und wirtschaftlichen Vereinen richten. Zur Begründung wird angeführt, dass Bedarf für den Einsatz von Verbandssanktionen vor allem bei der gewinnorientierten Betätigung in einem von Konkurrenz geprägten Markt besteht, da dies mit erhöhten Risiken der Begehung von Straftaten durch Leitungspersonen und Mitarbeiter einhergehen kann. Weiter heißt es: “Verbände, deren Zweck nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, sind regelmäßig in hohem Maße durch ehrenamtliches Engagement gekennzeichnet und dienen insbesondere gemeinnützigen Zwecke”. In diesem Kontext erscheint das durch das Opportunitätsprinzip und die größere Entscheidungsflexibilität der Verfolgungsbehörden geprägte Ordnungswidrigkeitenrecht angemessen.

– Auflösung von Verbänden

Als Ultima Ratio sah die Ursprungsfassung des VerSanG die Auflösung eines Verbandes vor. Voraussetzung dafür war das Vorliegen eines besonders schweren Falles, wonach von Leitungspersonen eines Verbandes beharrlich erhebliche Verbandsstraftaten begangen worden sind und eine Gesamtwürdigung die Gefahr erkennen ließ, dass weiter erhebliche Verbandsstraftaten begangen würden. Allerdings zeichnete sich bereits Ende des vergangenen Jahres ab, dass diese Sanktionsform – der in der Diskussion ohnehin ein eher theoretischer und symbolischer als praktischen Anwendungsbereich zugesprochen wurde – aus dem finalen Entwurf gestrichen würde. Diese Annahme hat sich nunmehr bewahrheitet.

– Milderung von Verbandssanktionen bei Internen Untersuchungen

Die Kernelemente des bisherigen Entwurfs bezüglich der erstmals im deutschen Recht verankerten Regelungen zu internen Untersuchungen sind fast unverändert geblieben. So wird weiterhin strikt die Trennung zwischen der strafrechtlichen Verteidigung einerseits und der anwaltlichen Vertretung im Kontext der internen Untersuchung andererseits verlangt. In der Praxis bedeutet dies, dass nicht dieselbe Person strafrechtlich verteidigen und die internen Untersuchungen durchführen kann. Ebenfalls keine Änderung sieht der Entwurf im Hinblick auf das damit einhergehende beschränkte Beschlagnahmeverbot vor; ein solches gilt ausschließlich für die Unterlagen der Verteidigung. Aufzeichnungen aus den geführten Interviews im Zuge einer internen Untersuchung sind nur insoweit vor Beschlagnahme geschützt, als sie in den Bereich des geschützten Vertrauensverhältnisses fallen.

Neu geregelt ist hingegen, dass das Gericht eine Verbandssanktion mildern soll, wenn das Unternehmen interne Ermittlungen durchgeführt und derart in das Verfahren eingebracht hat, dass es den im Gesetz kumulativ aufgestellten qualitativen Anforderungen entspricht. Bislang war in diesem Zusammenhang noch eine “kann”-Regelung und damit unweigerlich ein Ermessensspielraum auf Seiten des Gerichts vorgesehen. In dem bisherigen Entwurf war noch vorgesehen, dass eine Sanktionsmilderung auf Grundlage einer internen Untersuchung nur dann möglich ist, wenn “die verbandsinterne Untersuchung in Übereinstimmung mit den geltenden Gesetzen durchgeführt wird.” Diese strikte Regelungsanforderung hat insbesondere bei Unternehmen Bedenken geweckt ob der Frage, welche konkreten Anforderungen dies beinhalten würde und ob jegliche Nichteinhaltung eine monetäre Reduzierung der Verbandsanktion unmöglich machen würde. Im aktuellen Entwurf wurde diese Formulierung gestrichen. Es bleibt jedoch zu erwähnen, dass es natürlich auch weiterhin notwendig ist, dass interne Untersuchungen im Einklang mit geltenden Gesetzen erfolgen.

Eine entscheidende Rolle für die Zubilligung einer Strafmilderung spielt nun der Zeitpunkt, den das Gericht zwecks Festlegung des Umfangs der Sanktionsmilderung zu berücksichtigen hat. So soll zwar weiterhin keine Anzeigepflicht oder eine Verpflichtung zur sofortigen Mitteilung der Untersuchung(-sergebnisse) bestehen. § 17 Nr. 3 VerSanG sieht jedoch die Verpflichtung zur ununterbrochenen und uneingeschränkten Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden vor. Wenden sich die Strafverfolgungsbehörden im Zuge ihrer Untersuchung an das Unternehmen, so sollen Unternehmen eine Sanktionsmilderung nur noch erlangen, sofern es unverzüglich mit den Behörden kooperiert. Eine Milderung der Verbandssanktion ist hingegen explizit ausgeschlossen, wenn das Unternehmen die Ergebnisse der internen Untersuchung erst nach Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 203 der Strafprozessordnung) offenlegt.

– Öffentliche Bekanntmachung

Bereits die Ursprungsfassung des VerSanG sah als Nebenfolge einer Verbandssanktion die Anordnung der öffentlichen Bekanntmachung der Verurteilung durch das Gericht vor, sofern durch eine Verbandstat eine große Anzahl von Personen geschädigt worden ist. In der Neufassung wurde der Zweck der Vorschrift, nämlich die Information der durch die Verbandstat Geschädigten über eine Verurteilung, hervorgehoben. Auf diese Weise soll den Gerichten eine Leitlinie für die Ausübung des Ermessens gereicht werden. Bei der Entscheidung über die Notwendigkeit einer Bekanntgabe sollen Gerichte unter anderem eine Interessenabwägung vornehmen, in die die Vor- und Nachteile einzubeziehen sind, die sich aus der Bekanntmachung des Urteils für den verurteilten Verband beziehungsweise die von der Straftat Betroffenen ergeben, und dabei insbesondere auch das Informationsinteresse der Geschädigten im Hinblick auf die Geltendmachung von Ersatzansprüchen sowie das Vorhandensein von anderweitigen Informationsquellen prüfen.

 

Fazit und Ausblick

Der nunmehr veröffentlichte Referentenentwurf des VerSanG hat nur wenige relevante Änderungen erfahren. Viele der von Praktikern und Unternehmen diskutierten und erhofften Regelungen und Klarstellungen haben keine Berücksichtigung gefunden. Große Erwartungen liegen damit auf dem nun anstehenden Diskussions- und weiteren Gesetzgebungsverfahren. Bundesländer und Verbände sind aufgefordert bis spätestens zum 12. Juni 2020 zum Entwurf Stellung zu nehmen. Erst im Anschluss wird es zu einem Kabinettsbeschluss der Bundesregierung kommen.

Aufgrund der intensiven Abstimmung des Entwurfs zwischen dem BMJV und dem Wirtschaftsministerium im Vorfeld der Veröffentlichung ist damit zu rechnen, dass das Gesetzgebungsverfahren im Bundestag zügig abgeschlossen werden kann. Abzuwarten bleibt indes, ob sich die Corona-Krise hierauf Auswirkung haben wird. Für das Inkrafttreten des VerSanG ist jedenfalls nach wie vor eine Zweijahresfrist vorgesehen, so das damit nicht vor Ende 2022/Anfang 2023 zu rechnen ist. Ausweislich der Gesetzesbegründung soll diese Frist vor allem die Umsetzung erforderlicher organisatorischer Maßnahmen bei Gerichten, Strafverfolgungsbehörden und der Registerbehörde ermöglichen.

Aber auch Unternehmen sollten diese Zeit nutzen, ihre Compliance-Risiken zu erfassen und ihre internen Abläufe und Compliance-Systeme auf Angemessenheit hin zu prüfen und bei Bedarf entsprechend weiterzuentwickeln. Unternehmen sollten sich frühzeitig Gedanken darüber machen, wie sie planen interne Untersuchungen künftig durchzuführen und entsprechende Zuständigkeiten und Prozesse definieren, einschließlich der im Fall der Fälle notwendigen Freigabeprozesse zum rechtzeitigen Austausch von Untersuchungsergebnissen mit den Strafverfolgungsbehörden. Denn eins sicher: Das VerSanG wird kommen und mit zahlreichen Änderungen ist vor Inkrafttreten nicht mehr zu rechnen!

 

Wie gewohnt werden wir die weitere Entwicklung in den kommenden Wochen und Monaten verfolgen und hierzu auf unserem Blog berichten. Sofern Sie Fragen zu dem Entwurf oder damit im Zusammenhang stehenden Themen Fragen haben, sprechen Sie uns gerne jederzeit an.

 

Die Pressemitteilung des BMJV ist hier abrufbar.

Der Referentenentwurf des BMJV ist hier abrufbar.

Die Pressemitteilung des zuständigen Berichterstatters und rechtspolitischen Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Dr. Jan-Marco Luczak, ist hier abrufbar.