Aktuelles von Pohlmann & Company

29.08.2019

Referentenentwurf zum Verbandssanktionengesetz vorgelegt

Das Ministerium für Justiz und Verbraucherschutz hat am 22. August 2019 einen Referentenentwurf für das Gesetz zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität vorgelegt, welches mittels eines Verbandssanktionengesetzes eine grundsätzliche Neuregelung der Sanktionierung von Unternehmen für unternehmensbezogenen Straftaten beinhaltet.

 

Einleitung

Am 22. August 2019 hat das Ministerium für Justiz und Verbraucherschutz den langerwarteten Entwurf des Gesetzes zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität vorgestellt. Auf Basis von 69 neuen Paragraphen soll im „Gesetz zur Sanktionierung von verbandsbezogenen Straftaten“ (nachfolgend „Entwurf“ oder „Verbandssanktionengesetz„) zukünftig die Sanktionierung von Unternehmen neu geregelt und eine zeitgemäße und angemessene Ahndung von Verbandsstraftaten ermöglicht werden. Dabei verfolgt der Gesetzentwurf ausdrücklich das Ziel, rechtssichere Anreize für präventive Compliance, die Durchführung von internen Untersuchungen und kooperative Aufklärung und Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden im Einzelfall zu setzen.

 

Einführung eines eigenständigen Verbandssanktionenrecht

Mit dem Entwurf wird die Ahndung von Verbandsstraftaten aus dem Ordnungswidrigkeitenrecht (OWiG) herausgelöst und in eine neue eigenständige gesetzliche Grundlage überführt. Diese Form der Neuregelung hat klaren Signalcharakter: Internationalen Anforderungen und etablierten Standards im Hinblick auf die effektive, angemessene und abschreckende Ahndung von Unternehmensstraftaten will auch Deutschland zukünftig nachkommen.

Statt dem im Ordnungswidrigkeitenrecht geltenden Opportunitätsprinzip soll für die Sanktionierung kriminellen Verbandsverhaltens zukünftig das Legalitätsprinzip gelten: Strafverfolgung und -ahndung von Verbandsstraftaten sollen nicht länger im Ermessen der zuständigen Staatsanwaltschaften und Gerichte liegen, sondern vielmehr einer bundeseinheitlichen Sanktionierungspraxis zugeführt werden.

Unternehmen mit Sitz in Deutschland sollen dabei künftig auch für im Ausland begangene Straftaten zur Rechenschaft gezogen werden können. Der Entwurf schließt damit eine bisherige Regelungslücke bei der Ahndung von Auslandsstraftaten: Auf eine in aller Regel die deutsche Staatsangehörigkeit des verantwortlichen Leitungsorgans voraussetzende Anwendbarkeit deutschen Rechts soll es fortan nicht mehr ankommen. Stattdessen soll vielmehr entscheidend sein, dass Verbände einen Sitz in Deutschland haben und es sich bei der begangenen Tat sowohl in dem Land, in dem die Tat begangen wurde, als auch in Deutschland um eine Straftat handelt.

Zudem können Sanktionen nicht nur gegenüber dem tätlichen Verband verhängt werden, sondern in bestimmten Fällen auch gegenüber dessen Rechtsnachfolgern. Zudem sieht der Entwurf eine – an kartellrechtliche Vorschriften angelehnte – Haftung der wirtschaftlichen Einheit (Ausfallhaftung) vor.

 

Erweitertes Sanktionsspektrum und Verfahrensflexibilität

Kernstück des Verbandssanktionengesetz sind die sogenannten – und für die Bestrafung von Unternehmen – relevanten Verbandssanktionen, namentlich (i) die Verbandsgeldsanktion, (ii) die Verwarnung mit Verbandsgeldsanktionsvorbehalt und (iii) als ultima ratio die Verbandsauflösung.

Da die Verbandsgeldsanktion den Geldbußen des OWiG nachgebildet ist, sieht der Entwurf hierfür ein Höchstmaß von zehn Millionen Euro für vorsätzlich begangene Taten bzw. fünf Millionen Euro bei Fahrlässigkeit vor. Allerdings gilt für Verbände, deren durchschnittlicher Jahresumsatz mehr als 100 Millionen Euro beträgt, abweichend hiervon ein Strafrahmen, der bis zu 10 Prozent (bei vorsätzlichen Verbandsstraftaten) bzw. 5 Prozent (bei fahrlässigen Verbandsstraftaten) des durchschnittlichen Jahresumsatzes betragen kann. Sofern gegen einen Verband mehrere Verbandssanktionen verhängt werden, können diese in einer Gesamtsanktion zusammengeführt werden. Diese darf allerdings nicht das Doppelte der Höchstmaße einer Einzelsanktion übersteigen, d.h. 20 Millionen Euro bzw. 20 Prozent des durchschnittlichen Jahresumsatzes.

Anders als bei Geldbußen nach § 30 OWiG erfolgt mit einer Verbandsgeldsanktion nicht zugleich eine Abschöpfung des aus der Verbandsstraftat erlangten Vermögens; maßgeblich sind hierfür vielmehr die Regelungen des Strafgesetzbuchs (StGB).

Bei Vorliegen der im Entwurf näher konkretisierten Voraussetzungen kann statt einer Verbandsgeldsanktion auch eine Verwarnung mit Vorbehalt der Verbandsgeldsanktion ausgesprochen werden. Eine solche Verwarnung kann mit zusätzlichen Auflagen oder Weisungen verbunden werden. Konzeptionell erinnert diese Sanktionsform an das aus dem anglo-amerikanisch Rechtsraum stammende Rechtsinstrument des ‚Deferred Prosecution Agreement‘ (DPA).

Als besondere Form einer Weisung sieht der Entwurf zudem vor, dass ein Gericht den Verband anweisen kann, bestimmte Vorkehrungen zur Vermeidung von Verbandssanktionen zu treffen und diese durch „eine sachkundige Stelle“ nachzuweisen. Die Vorschrift schafft somit die Voraussetzungen, das Instrument eines ‚Compliance Monitors‘, das vor allem in den Vereinigten Staaten von Amerika und Großbritannien eingesetzt wird, in Deutschland einzuführen.

Weiterhin kann die Verurteilung des Verbandes öffentlich bekannt gemacht werden (sog. ‚Naming and Shaming‘). Voraussetzung hierfür ist allerdings die Schädigung einer großen Anzahl von Personen.

Ergänzend zu den Sanktionsmöglichkeiten sieht der Entwurf verschiedene Einstellungsgründe vor, die den Gerichten eine flexible Verfahrensgestaltung ermöglichen. Hervorzuheben sind hierbei insbesondere die Regelungen zum Absehen von der Verfolgung wegen (i) Geringfügigkeit oder (ii) unter Auflagen und Weisungen. Im letzteren Fall wird es Unternehmen ermöglicht, ein Verfahren ohne Durchführung einer öffentlichen Hauptverhandlung zu beenden. Rechtstechnisch erinnert diese Verfahrensform an das aus dem anglo-amerikanischen Rechtskreis bekannte Instrument des ‚Non Prosecution Agreement‘ (NPA).

 

Effektive Compliance-Maßnahmen/Programme als Einstellungs-/Strafminderungsgrund

Bereits im Eingangstext statuiert der Entwurf, dass es in Deutschland bislang an rechtssicheren Anreizen für Investitionen in Compliance-Maßnahmen fehlt. Ein erklärtes Ziel des Entwurfs ist es deshalb, „Compliance-Maßnahmen zu fördern„.

Diesem Ziel trägt der Gesetzentwurf an zahlreichen Stellen Rechnung. So können nach der Gesetzesbegründung Compliance-Maßnahmen dazu führen, dass es – insbesondere dann, wenn der Verband bereits Maßnahmen getroffen hat oder trifft, um Verstöße zu vermeiden – nur zu einer Verwarnung kommt. Wird hingegen eine Verbandsgeldsanktion verhängt, so können Compliance-Maßnahmen im Rahmen der Bemessung der Sanktion strafmildernd berücksichtigt werden. Eine substantielle Minderung soll laut Gesetzesbegründung vor allem dann möglich sein, wenn Verbände über ein effektives Compliance-System verfügt haben; das reine ‚Window Dressing‘, also Vorhalten eines vermeintlich wirksamen Compliance-Systems, soll hingegen strafschärfend berücksichtigt werden.

Aufgrund der neu geschaffenen flexiblen Verfahrensgestaltungsmöglichkeiten ist es darüber hinaus auch möglich das Vorhandensein bzw. die Fortentwicklungen von Compliance-Maßnahmen zum Anlass zu nehmen, das Verfahren einzustellen und somit von der Strafverfolgung abzusehen.

 

Interne Untersuchungen

Erstmals wird im Entwurf schließlich auch die Durchführung und die Folgen von internen Untersuchungen geregelt. Diese können grundsätzlich sowohl durch den Verband selbst als auch durch von ihm beauftragte Dritte durchgeführt werden. Dabei handelt es sich allerdings nicht um zwingende Regelungen. Vielmehr sollen Anreize geschaffen werden, um interne Untersuchung herbei- und durchzuführen. Hat ein betroffener Verband eine interne Untersuchung durchgeführt und dabei die im Gesetz aufgeführten Grundsätze eingehalten, so kann die Sanktion um bis zu 50% gemildert werden. In diesen Fällen ist zudem die Auflösung des Verbandes sowie die öffentliche Bekanntgabe der Sanktion ausgeschlossen. Flankierend sieht der Entwurf daher auch vor im Falle einer solchen Milderung die Sanktion durch Bescheid festzusetzen – also ohne öffentliche Hauptverhandlung.

Damit Unternehmen diese möglichen Vorteile nutzen können, ist es notwendig, dass sämtliche im Folgenden beschriebenen Voraussetzungen zur Durchführung interner Untersuchung erfüllt sind:

  • Die interne Untersuchung muss unter Einhaltung aller geltenden Gesetze erfolgen;
  • es muss ein wesentlicher Beitrag zur Sachverhaltsaufklärung geleistet werden;
  • der Strafrechtsverteidiger des Verbandes darf nicht in die interne Untersuchung involviert sein;
  • es muss ununterbrochen und uneingeschränkt mit den Verfolgungsbehörden kooperiert werden;
  • nach Abschluss der Untersuchung müssen die Untersuchungsergebnisse, einschließlich aller wesentlichen Dokumente, den Verfolgungsbehörden ausgehändigt werden; und
  • die Untersuchung muss unter Einhaltung der Grundsätze eines fairen Verfahrens durchgeführt werden.

Die Einhaltung der Grundsätze eines fairen Verfahrens spezifiziert der Entwurf weiter und führt aus, dass

  • Mitarbeiter vor ihrer Befragung darauf hingewiesen werden müssen, dass ihre Aussagen in einem Strafverfahren gegen sie verwendet werden können;
  • Befragten das Recht auf Rechtsbeistand eingeräumt wird (und sie vor Beginn der Befragung darüber belehrt werden); und
  • Befragten das Recht eingeräumt wird, die Beantwortung von Fragen zu verweigern, sofern die Antwort sie persönlich oder nahe Verwandte dem Risiko aussetzen könnte, wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden.

 

Verfahrensvorschriften

Auf das Verfahren zur Verfolgung von Verbänden nach dem Verbandssanktionsgesetz sollen die allgemeinen Gesetze über das Strafverfahren, d.h. insbesondere die Strafprozessordnung (StPO), Anwendung finden.

Der Entwurf stellt zudem ausdrücklich klar, dass dem Verband im Verfahren zukünftig die Stellung eines Beschuldigten zukommt; diesem stehen damit sämtliche Beschuldigtenrechte, d.h. insbesondere das Recht zu Schweigen, das Recht auf rechtliches Gehör sowie zur Stellung von Beweisanträgen, zu. Zahlreiche Sonderregelungen adressieren dabei die Besonderheit des Verbands als organschaftlich organisiertes und vertretenes Rechtssubjekt und die Stellung seiner gesetzlichen Vertreter im Verfahren.

Neben der allgemeinen Einräumung des Beschuldigtenstatus im Verfahren greift der Entwurf ausdrücklich auch das zuletzt im Kontext der sog. ‚Jones-Day-Entscheidung‘ des Bundesverfassungsgerichts kontrovers diskutierte Thema der Durchsuchung von Anwaltskanzleien und Beschlagnahme von Unterlagen und Erkenntnissen aus verbandsinternen Untersuchungen auf.

Mit klarstellenden Ergänzungen in der StPO werden zahlreiche Ansichten und Diskussionen zur Einschränkung strafrechtlicher Ermittlungsmaßnahmen in diesem Kontext zurückgewiesen: Beschlagnahmefreiheit soll zukünftig ausdrücklich nur im Rahmen eines geschützten Vertrauensverhältnisses zwischen einem sich bereits im Beschuldigtenstatus befindlichen Verbandes oder Individuums und seinem zeugnisverweigerungsberechtigten Berater in Betracht kommen.

Mandatsverhältnisse mit Personen und Unternehmen, die (noch) nicht Beschuldigte sind, sollen keinem besonderen Schutz unterliegen. Aufzeichnungen und Ergebnisse aus internen Untersuchungen dürften damit immer dann dem Beschlagnahmerecht der Strafbehörden unterliegen, wenn sie außerhalb einer konkreten Strafverteidigung erfolgen. Ausdrücklich klargestellt wird im Entwurf überdies, dass außerhalb der engen Grenzen der Beschlagnahmeverbote auch Durchsuchungs- und Beschlagnahmemaßnahmen bei Anwaltskanzleien zulässig sind.

 

Verbandssanktionenregister

Der Entwurf sieht die Einrichtung eines – nicht öffentlich zugänglichen – Verbandssanktionenregisters vor. Eingetragen werden sollen neben rechtskräftigen Entscheidungen über die Verhängung von Sanktionen nach dem Verbandssanktionsgesetz auch Bußgeldentscheidungen nach § 30 OWiG. Auskunftsrechte sollen insbesondere für Gerichte, Staatsanwaltschaften und Behörden bestehen – innerhalb der EU – und bei Vorliegen entsprechender völkerrechtlicher Verträge auch seitens ausländischer, über- und zwischenstaatlicher Stellen.

 

Ausblick/Schlussfolgerungen

Nach einer langen Vorbereitungszeit und jahrelangen Diskussionen liegt nun erstmals der Entwurf für ein deutsches ‚Unternehmensstrafrecht‘ vor, der Gegenstand eines intensiven Diskurses werden wird. Es wird daher noch mindestens bis in das kommende Jahr dauern, bis ein entsprechendes Gesetz nach eingehender Diskussion im Kabinett und Bundestag und Anhörung des Bundesrats verabschiedet werden wird. Auf dem Weg dahin werden zudem noch zahlreiche Fragen – insbesondere im Hinblick auf arbeitsrechtliche, datenschutzrechtliche und strafrechtliche Belange, aber auch zu Compliance-spezifischen Problemstellungen – zu klären sein.

Eines sollten Unternehmen bereits heute beachten: Aller Voraussicht nach wird es in Deutschland in naher Zukunft ein echtes ‚Unternehmensstrafrecht‘ geben. Obwohl der Entwurf vorsieht, dass das Gesetz erst zwei Jahre nach Verkündung in Kraft tritt, um Unternehmen die Möglichkeit zu geben, ihre Compliance-Systeme zu prüfen und ggf. weitere oder erstmals Compliance-Maßnahmen zu treffen, sollten Unternehmen nicht erst kurz vor Ablauf der Frist damit beginnen, sondern sich bereits jetzt mit diesen Themen auseinandersetzen.

 

Wir werden die weitere Entwicklung verfolgen und regelmäßig hierzu auf unserem Blog berichten. Lassen Sie uns gerne wissen, wenn Sie zu dem Entwurf oder damit im Zusammenhang stehenden Themen Fragen haben.