Aktuelles von Pohlmann & Company

10.02.2023

Update zur U.S. Corporate Enforcement Policy des DOJ

Die Criminal Division des US Department of Justice nimmt weitreichende Änderungen an ihrer Corporate Enforcement Policy vor und schafft weitere Anreize für Compliance Management, Selbstanzeigen und Kooperation.

Am 17. Januar 2023 kündigte der stellvertretende Generalstaatsanwalt Kenneth Polite in einer Rede Änderungen der Corporate Enforcement Policy („CEP“) der Criminal Division des US-Justizministeriums (DOJ) an. Im Mittelpunkt seiner Rede standen die zu erwartenden Vorteile für Unternehmen, die festgestelltes Fehlverhalten in ihrer Organisation freiwillig gegenüber den Behörden zur Anzeige bringen (sog. voluntary self-disclosure) und bei behördlichen Ermittlungen vollumfänglich kooperieren.

Die neue CEP mit dem Titel „Corporate Enforcement and Voluntary Self-Disclosure“ erscheint rund vier Monate nach der Aufforderung der stellvertretenden US-Justizministerin Lisa Monaco an alle Abteilungen des DOJ, ihre Verfahren zum Umgang mit Selbstanzeigen zu überarbeiten (Siehe hierzu unseren Blogbeitrag vom 23. September 2022). Laut Polite handelt es sich um die weitreichendsten Überarbeitungen seit 2017. Mit der neuen CEP wird Unternehmen, die Fehlverhalten freiwillig zur Anzeige bringen, nunmehr eine Bußgeld-Reduzierung um bis zu 75% in Aussicht gestellt. Überdies ist nun ausdrücklich klargestellt, dass die CEP auf alle Unternehmensstrafsachen der Criminal Division des DOJ, und nicht ausschließlich auf FCPA-Verfahren, Anwendung findet.

In seiner Rede führte Polite aus, dass Unternehmen unter der bisherigen CEP oftmals abgewogen hätten, ob eine freiwillige Selbstanzeige tatsächlich die gewünschte Wirkung, insbesondere eine Ablehnung der Strafverfahrenseröffnung (sog. declination), erzielen würde. Aufgrund von Unsicherheit wären Unternehmen oftmals zu dem Schluss gelangt, dass es vorteilhafter sei, festgestelltes Fehlverhalten den Behörden gegenüber zu verschweigen. Vorderstes Ziel der neuen CEP sei es daher, Unternehmen mehr Klarheit und konkrete Anreizen für die Offenlegung von Fehlverhalten zu an die Hand zu geben.

Anreize für Offenlegungen von Fehlverhalten trotz erschwerender Strafmaßumstände

Angesichts der Bedeutung von Selbstanzeigen für die Strafverfolgungspolitik des DOJ bietet die überarbeitete CEP Unternehmen auch bei strafverschärfenden Umständen erhebliche Anreize zur Offenlegung von Fehlverhalten. Als strafverschärfende Umstände nannte Polite u.a.:

  • die Beteiligung der Unternehmensleitung an dem Fehlverhalten,
  • erhebliche Gewinne, die aus dem Fehlverhalten resultieren,
  • die Schwere oder Häufigkeit des Fehlverhaltens innerhalb des Unternehmens.

Bislang verzichtete das DOJ nur dann auf eine Strafverfolgung, wenn keine dieser strafverschärfenden Umstände vorlagen, das Unternehmen den Behörden das Fehlverhalten offenlegte, bei den Ermittlungen vollumfänglich kooperierte und die Ursachen des Fehlverhaltens in angemessener Weise beseitigte.

Die Neufassung der CEP sieht nunmehr vor, dass Unternehmen trotz erschwerender Umstände von einer Strafverfolgung verschont bleiben können, wenn sie gegenüber dem DOJ nachweisen, folgende Privilegierungskriterien zu erfüllen:

  1. Das Unternehmen hat unmittelbar nach Bekanntwerden des mutmaßlichen Fehlverhaltens eine Selbstanzeige abgegeben.
  2. Zum Zeitpunkt des Fehlverhaltens und der Offenlegung verfügte das Unternehmen über ein wirksames Compliance-Programm und ein System interner Rechnungslegungskontrollen, die die Aufdeckung des Fehlverhaltens ermöglichten und zur freiwilligen Selbstanzeige des Unternehmens führten.
  3. Das Unternehmen hat bei den Ermittlungen des DOJ in außerordentlicher Weise kooperiert und außerordentliche Abhilfemaßnahmen ergriffen.

In seiner Rede stellte Polite dabei klar, dass nicht für alle derart „privilegierten“ Unternehmen auch ein vollständiges Absehen von der Strafverfolgung in Betracht käme. Sicher sei diesen Unternehmen jedoch eine Reduzierung der Geldbuße von mindestens 50% und bis zu 75% der unteren Bandbreite des Bußgeldrahmens, es sei denn, es handele sich um Wiederholungstäter (sog. corporate recidivist). Verglichen mit der bisherigen CEP, welche eine maximale Kürzung von 50% bei Strafzahlungen vorsah, bietet die Neufassung Unternehmen deutliche Anreize zur Abgabe von Selbstanzeigen. Erfüllt ein Unternehmen die Privilegierungskriterien, so werde das DOJ in aller Regel kein Schuldbekenntnis (sog. guilty plea) und auch nicht die Bestellung eines Compliance Monitors zur Überwachung des Compliance-Programms verlangen. Hiervon wäre einzig bei mehreren oder besonders schwerwiegenden strafverschärfenden Umständen eine Ausnahme zu machen.

Anreize zur  Kooperation trotz Verzicht zur Abgabe einer Selbstanzeige

Neben den Änderungen bei freiwilligen Selbstanzeigen bietet die überarbeitete CEP auch Vorteile für Unternehmen, die Fehlverhalten nicht bei den Behörden angezeigt haben, jedoch im Rahmen der behördlichen Ermittlungen vollumfänglich kooperieren und rechtzeitig angemessene Abhilfemaßnahmen ergreifen. Kenneth Polite führte aus, dass die Criminal Division des DOJ in solchen Fällen eine Reduzierung von bis zu 50% der unteren Bandbreite des Bußgeldrahmens gemäß der U.S. Sentencing Guidelines empfehlen würde. Dies entspricht dem Doppelten der bisher maximal möglichen Strafmilderung von 25%.

Zwischen vollumfänglicher und außerordentlicher Kooperation mit dem DOJ

Um in den vollen Genuss der Sanktionsmilderungen zu kommen, erwartet das DOJ von Unternehmen neben der Abgabe einer Selbstanzeige eine Kooperation in „außerordentlicher Weise„. Was das DOJ unter einer „außerordentlichen“ Kooperation versteht, definiert die CEP nicht. Insbesondere ist nicht klar, inwiefern sich die außerordentliche Kooperation im Rahmen einer Selbstanzeige von der „vollumfänglichen“ Kooperation unterscheidet, welche als Maßstab für Unternehmen herangezogen wird, die keine Selbstanzeige abgegeben haben. Polite führte hierzu aus, dass allgemeine Faktoren, wie „Unverzüglichkeit, Beständigkeit, Umfang und Wirkung“ der Kooperation herangezogen würden, ohne jedoch diese allgemeinen Faktoren näher zu definieren. Polite bemühte den Vergleich zur Zusammenarbeit mit verfahrensinvolvierten Einzelpersonen und führte aus, dass für das DOJ hierbei insbesondere „konsequente Aufrichtigkeit, eine unmittelbare Kooperation, der Zugang zu elektronischen Beweismitteln sowie die Bereitschaft zur Aussage vor Gericht“ von Bedeutung seien. Inwieweit das DOJ diese und mögliche weitere Faktoren zur Bestimmung außergewöhnlicher Kooperation im unternehmensbezogenen Kontext aufgreifen wird, bleibt abzuwarten.

Schlussfolgerung

Die Veröffentlichung der neuen CEP schafft deutliche Anreize für Unternehmen festgestelltes Fehlverhalten im Zuge einer Selbstanzeige gegenüber den Behörden offenzulegen. Dies gilt ausdrücklich auch beim Vorliegen von strafverschärfenden Umständen, da nun auch hier die Möglichkeit besteht, dass das DOJ von einer Strafverfolgung absieht. Davon, dass die Voraussetzungen zum Erhalt eines Strafnachlasses in Höhe von 75% einfach zu erfüllen sein werden, ist nicht auszugehen. In diesem Zusammenhang bleibt insbesondere abzuwarten, wie das DOJ die unbestimmten Begriffe der CEP, insbesondere „Unverzüglichkeit“ und „außerordentliche Kooperation“, weiter auslegen und mit praktischen Beispielen füllen wird.

Eines steht jedoch bereits fest: Um im Fall der Fälle den Anforderungen des DOJ gerecht werden zu können, sind ein robustes Compliance-Management und internes Kontrollsystem unverzichtbar. Die Möglichkeiten und Vorteile einer Selbstanzeige können nur die Unternehmen überhaupt abwägen, die über wirksame Hinweisgeber-, Kontroll- und Untersuchungsmechanismen verfügen und die Angemessenheit und Effektivität ihres Compliance-Management-Systems richtig einzuschätzen vermögen. Die Änderungen der neuen CEP bieten daher eine gute Gelegenheit, entsprechende Effektivitätsprüfungen anzustoßen. Ferner empfiehlt es sich, belastbare Prozesse zum kontinuierlichen Effektivitätsmonitoring und -testing zu etablieren und eine aussagekräftige Berichterstattung an Management, Aufsichtsrat und Prüfungsausschuss einzurichten. Nur ein selbstreflektiertes und informiertes Unternehmen wird im Krisenfall „unverzüglich“ reagieren und „außerordentlich kooperieren“ können.

Auch wenn die neue CEP in der deutschen Rechtsordnung und Strafverfolgungspraxis natürlich nicht direkt anwendbar ist, dürften auch in deutschen Straf- und Bußgeldverfahren diejenigen Unternehmen eindeutig die besseren Karten haben, die über wirksame Compliance-Programme und interne Kontrollsysteme verfügen und diese gegenüber den Behördenvertretern transparent und glaubwürdig darlegen können. Hierfür spricht nicht nur die aktuelle Rechtsprechung des BGH (Siehe hierzu unseren Blogbeitrag vom 29. November 2022), sondern auch die anhaltenden Überlegungen zur Compliance-Management-Incentivierung und Compliance-Defense im Zusammenhang mit der Novellierung des deutschen Unternehmenssanktionsrechts.

Gerne geben wir unsere langjährigen Erfahrungen im Umgang mit US-Strafverfolgungsbehörden und deren Erwartungen an Compliance-Management-Systeme an Sie weiter. Wir unterstützen Unternehmen regelmäßig bei der initialen Einführung, der fortlaufenden Prüfung sowie der Weiterentwicklung ihrer Compliance Governance und Organisationen, ihren Compliance-Programmen sowie den dazugehörigen internen Kontrollsystemen.

Sprechen Sie uns hierzu gerne an.