Paradebeispiel aus den USA: Reaktive Compliance lohnt sich
Proaktiv ergriffene Maßnahmen ermöglichen Technologieunternehmen einen straffreien Vergleich mit der SEC
Am 28. Januar 2022 gab die United States Securities and Exchange Commission („SEC“) bekannt, ihr Betrugsverfahren gegen ein im Silicon Valley niedergelassenes straffälliges Technologieunternehmen beizulegen, und zwar straffrei!
Die SEC hatte das Technologieunternehmen angeklagt, seine Einnahmen über einen Zeitraum von mindestens zwei Jahren bis 2020 betrügerisch aufgebläht und auf diese Weise den Börsenwert des Unternehmens manipulativ in die Höhe getrieben zu haben. Der Klage zufolge hatte der CEO selbst seine Kontrolle über die Finanz- und Verkaufsaktivitäten des Unternehmens missbräuchlich ausgenutzt, um über gefälschte Rechnungen Verträge zu fingieren und erhöhte Einkommensströme vorzuspiegeln. Dies hatte zu Anlegerinvestitionen von über 80 Millionen US-Dollar und einer Steigerung des Unternehmenswertes auf über 1 Milliarde US-Dollar geführt.
Nachdem eine vom Aufsichtsrat eingeleitete interne Untersuchung die betrügerischen Machenschaften aufdeckte, reagierte das Unternehmen mit unverzüglichen und umfangreichen Abhilfemaßnahmen: Neben der sofortigen Entlassung des CEOs, einer Abwertung des Unternehmenswertes auf 300 Millionen US-Dollar und erheblichen Entschädigungszahlungen an die Investoren wurde eine neue Geschäftsleitung aufgestellt, der Aufsichtsrat erweitert und interne Prozesse eingeführt, die zukünftig Transparenz und Richtigkeit der Geschäftsberichte garantieren sollen.
In ihrer Pressemitteilung betonte die SEC, dass die umgehenden Abhilfemaßnahmen des Unternehmens und dessen vollumfängliche Kooperation im Verfahren ein „Paradebeispiel“ für andere darstelle, die sich die Frage stellten, wie sie sich nach Aufdeckung unternehmerischen Fehlverhaltens angemessen verhalten sollten. Ausschlaggebende Faktoren für das gänzliche Absehen von einer Strafe sei im vorliegenden Fall das Zusammenspiel aus interner Untersuchung, revidierter Unternehmensbewertung, Entschädigung der geschädigten Anleger und nachhaltiger Verbesserung der Unternehmensführung für die Zukunft gewesen.
In einer Zeit, in der die US-Vollzugsbehörden eine härtere Gangart gegenüber straffälligen Unternehmen und einen dezidierten Fokus auf nachhaltige Integritätskultur angekündigt haben (siehe hierzu unseren Blog-Beitrag vom 11. November 2021), unterstreicht der vorliegende Fall die Relevanz einer proaktiven und ehrlich gemeinten Reaktion auf vermutetes Fehlverhalten. Er illustriert die Vorteile einer vom Unternehmen selbst gesteuerten Aufklärung und unmittelbaren Vornahme von Abhilfemaßnahmen.
Die Entscheidung der SEC zu einem straffreien Vergleich sollte Unternehmensorgane weiter animieren, bei Anhaltspunkten für unternehmerisches Fehlverhalten unmittelbar zu veranlassen, was nötig ist, um möglichst schnell umfassend Aufklärung und Abhilfe zu schaffen. Voraussetzung für ein reaktionsschnelles Handeln im Einzelfall sind dabei effektive Governance- und Berichts-Strukturen sowie funktionsfähige Unternehmens- und Untersuchungsprozesse. Hierauf aufbauend können sich Unternehmen vor größeren wirtschaftlichen wie reputativen Schäden schützen – und dies gilt freilich nicht nur für Unternehmen mit Börsennotierung in den USA!