Ohne wirksames Compliance Management System geht’s nicht mehr!
Bundestag beschließt Änderungsantrag zum Gesetzesentwurf der 10. GWB-Novelle
Am 18. Januar 2021 ist die 10. GWB-Novelle mit dem Namen „Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen für ein fokussiertes, proaktives und digitales Wettbewerbsrecht 4.0 und anderer wettbewerbsrechtlicher Bestimmungen“ (GWB-Digitalisierungsgesetz) in Kraft getreten. Diese hat erhebliche Konsequenzen für die Bedeutung von Compliance-Maßnahmen von Unternehmen. Auf den letzten Metern hat der Gesetzgeber überraschend noch die erweiterte Möglichkeit zur „Compliance Defense“ in den Gesetzgebungsprozess eingebracht, mit Hilfe derer Unternehmen künftig mögliche Bußgeldzahlungen für kartellrechtliche Verstöße nach § 1 GWB verringern können.
Die Neuerung zeigt sich im Einklang mit dem Konzept im Entwurf zum Verbandssanktionengesetz (VerSanG). Sie folgt dem in den USA seit Jahrzehnten erprobten Ansatz, nach dem straffällige Unternehmen, welche die Existenz effektiver Compliance Management Systeme („CMS“) darlegen können, in den Genuss von Straffreiheit und -aussetzung oder jedenfalls Sanktionsminderung kommen können.
Gesetzesentwurf – § 81d GWB
„Bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße […] kommen als abzuwägende Umstände insbesondere in Betracht: […]
4. Vorausgegangene Zuwiderhandlungen des Unternehmens sowie vor der Zuwiderhandlung getroffene angemessene und wirksame Vorkehrungen zur Vermeidung und Aufdeckung von Zuwiderhandlungen und
5. Das Bemühen des Unternehmens die Zuwiderhandlung aufzudecken und den Schaden wiedergutzumachen sowie nach der Zuwiderhandlung getroffene Vorkehrungen zur Vermeidung und Aufdeckung von Zuwiderhandlungen.“
Zusammenfassung
Zukünftig sind kartellrechtlich-relevante Compliance-Maßnahmen bei der Berechnung eines möglichen Bußgelds zu berücksichtigen, und zwar unabhängig davon, ob die Maßnahmen vor oder nach der Zuwiderhandlung getroffen wurden.
Die nach § 81d erforderliche Angemessenheit und Wirksamkeit von Compliance-Maßnahmen ist entsprechend des Gesetzesentwurfs gegeben, wenn der „Inhaber eines Unternehmens alle objektiv erforderlichen Vorkehrungen ergriffen hat, um Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen durch Mitarbeiter wirksam zu verhindern“. Diese Vorkehrungen beinhalten zum Beispiel Maßnahmen zur Sicherstellung der Einhaltung von kartellrechtlichen Anforderungen als Teil eines Compliance-Management-Systems.
Die Angemessenheit und Wirksamkeit dieser Vorkehrungen „[…] ist in der Regel dann anzunehmen, wenn die ergriffenen Maßnahmen zur Aufdeckung und Anzeige der Zuwiderhandlung geführt haben“ (siehe Gesetzesbegründung bzgl. § 81d Absatz 1 Satz 2 Ziffer 4). Die Angemessenheit soll hierbei im Einzelfall ermittelt werden. Relevante Faktoren schließen die Unternehmensgröße, den Unternehmensgegenstand und die Anzahl der Mitarbeiter soweit mögliche weitere Faktoren mit ein.
Damit setzt der deutsche Gesetzgeber einen deutlichen Akzent im Gegensatz zur Europäischen Kommission, welche noch immer die Auffassung vertritt, dass präventive Compliance-Maßnahmen, die einen Verstoß augenscheinlich nicht verhindert haben, auch keinen Einfluss auf entsprechende Strafen bei Zuwiderhandlung haben sollten. Die Gesetzesbegründung zur 10. GWB-Novelle tritt dieser Auffassung entgegen: Grundsätzlich könne es auch bei der Umsetzung von Compliance-Maßnahmen zu einer kartellrechtlichen Zuwiderhandlung kommen; entsprechend sollten sich ernstgemeinte präventive Maßnahme im Einzelfall auch sanktionsmindernd auswirken können.
Entscheidend wird damit freilich der richtige Ansatz: Wohl kaum werden Unternehmen auf Sanktionsmilderung hoffen können, die sich für ein „Mindestmaß an Compliance“ oder gar ein aus dem Lehrbuch konzipiertes „Paper Program“ entscheiden. Kommt es zu einer Zuwiderhandlung, legt dies zunächst entsprechende Compliance- und Kontroll-Defizite nahe. Es gilt den Gegenbeweis anzutreten, und zwar mit einem den individuellen kartellrechtlichen Unternehmensrisiken entsprechenden und tatsächlich adäquat ausgestatteten Compliance Management System.
Von Anfang an ausgeschlossen ist eine Sanktionsmilderung nur dann, wenn die Geschäftsleitung eines Unternehmens selbst in den kartellrechtlichen Vorfall involviert ist. In solchen Fällen sind etwaige präventive Compliance-Maßnahmen nach Ansicht des Gesetzgebers als definitiv nicht „wirksam“ anzusehen (siehe Gesetzesbegründung bzgl. § 81d Absatz 1 Satz 2 Ziffer 4).
Fazit und Ausblick
Allein im Jahr 2020 hat das Bundeskartellamt Strafzahlungen von mehr als 350 Mio. Euro gegenüber Unternehmen verhängt. Auch mit einem Compliance Management System, das der aktuellen „Best Practice“ entspricht, lassen sich wettbewerbsrechtliche Compliance-Verstöße nicht immer verhindern. Allerdings besteht fortan nun die Chance, durch entsprechend präventive Maßnahmen etwaige Strafzahlungen merklich zu vermindern.
Infolge des Inkrafttretens der 10. GWB-Novelle gewinnt ein effektives Compliance-Management-System für Unternehmen erneut erheblich an Bedeutung. Die neuerliche Gesetzesentwicklung verstärkt den Appell gegenüber Unternehmen in Deutschland, ein risikobasiertes und -adäquates und effektives Compliance Management System zu etablieren, regelmäßig zu prüfen und, sofern notwendig, entsprechend zu aktualisieren.
Auch vor dem Hintergrund weiterer zukünftiger Gesetzesänderungen, wie dem anstehenden Verbandssanktionsgesetz (für mehr Informationen siehe Infos VerSanG), gehört es für Unternehmen zum Gebot der Stunde, ihre internen Strukturen, speziell in Hinblick auf Compliance, kritisch zu überprüfen und gegebenenfalls entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Denn sicher ist: Für Untätigkeit, Gleichgültigkeit oder Gottvertrauen wird es keinen Strafnachlass geben – im Gegenteil!
Wie gewohnt werden wir die weitere Entwicklung in den kommenden Wochen und Monaten für Sie verfolgen und hierzu auf unserem Blog berichten. Sofern Sie Fragen haben, sprechen Sie uns gerne jederzeit an.