Aktuelles von Pohlmann & Company

26.02.2021

Neue Compliance-Anforderungen in der Lieferkette

Nach langem Ringen hat sich die Bundesregierung auf einen Referentenentwurf für ein Lieferkettengesetz (im Gesetz selbst als „Sorgfaltspflichtengesetz“ bezeichnet) geeinigt. Das Gesetz soll, vorbehaltlich des weiteren Gesetzgebungsverfahrens, Anfang 2023 in Kraft treten und dann zunächst nur für Unternehmen mit mehr als 3000 Beschäftigten gelten. Ein Jahr später soll es dann für alle Unternehmen mit mehr als 1000 Beschäftigten gelten.

Der Gesetzesentwurf schreibt den betroffenen Unternehmen keine abschließenden Handlungsanweisungen vor, stattdessen werden eine Vielzahl von organisatorischen Handlungs- und Berichtspflichten gefordert. Bei Verstößen drohen den Unternehmen Bußgelder sowie der Ausschluss von öffentlichen Aufträgen.

Lieferkettengesetz – Zielsetzung

Die Bundesregierung begründet die Notwendigkeit für ein Lieferkettengesetz mit dem Erfordernis der Verbesserung der internationalen Menschenrechtslage durch eine verantwortungsvolle Gestaltung der Lieferketten in Deutschland ansässiger Unternehmen. Hierzu trage die Bundesrepublik Deutschland, aufgrund der hohen internationalen Verflechtung ihrer Volkswirtschaft, eine besondere Verantwortung für einen nachhaltigen und fairen Welthandel.

Überblick Referentenentwurf – Handlungs- und Berichtspflichten für Unternehmen

Kern des neuen Gesetzes ist die Festschreibung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten für Unternehmen. Bezugspunkt für diese Sorgfaltspflichten sind Menschenrechte und umweltbezogene Rechte, wie in zahlreichen internationalen Abkommen vereinbart. Insbesondere umfasste Regelungsbereiche sind dabei Kinderarbeit, Zwangsarbeit, Sklaverei, problematische Anstellungs- und Arbeitsbedingungen, Diskriminierung, Verstoß gegen die Vereinigungsfreiheit, und Umweltschädigungen.

Unternehmen müssen ein angemessenes Risikomanagementsystem etablieren, damit sie in der Lage sind, eine mögliche Verletzung von Sorgfaltspflichten erkennen zu können, dieser vorzubeugen, oder im Zweifelsfall auch zu beseitigen. Grundlage hierfür ist eine individuelle Risikoanalyse.

Lieferanten, mit denen ein Vertragsverhältnis besteht, müssen auf die Einhaltung der Menschenrechte verpflichtet werden. Zudem ist vorgesehen, dass entsprechende vertragliche Kontrollmechanismen vereinbart werden, einschließlich der Durchführung von Schulungen sowie entsprechender Überprüfungen der Menschenrechtsstrategie.

Des Weiteren müssen Unternehmen eine Grundsatzerklärung verabschieden, in der die Menschenrechtsstrategie des Unternehmens festgeschrieben wird. Die Grundsatzerklärung enthält vor allem die Ergebnisse der Risikoanalyse sowie die getroffenen Maßnahmen zur Vorbeugung der Verletzung der Sorgfaltspflichten. Zudem sind Unternehmen verpflichtet, die getroffenen Maßnahmen sowie die Einhaltung der gesetzlichen Anforderungen kontinuierlich zu dokumentieren und einmal pro Jahr auf der Homepage des Unternehmens über die identifizierten Risiken, die Umsetzung der Sorgfaltspflichten und die Bewertung der Auswirkungen der getroffenen Maßnahmen und ihrer Wirksamkeit sowie über die künftige Strategie zu berichten.

Sind Verletzungen der Sorgfaltspflichten identifiziert, müssen sich Unternehmen um deren Beendigung bemühen. Hierzu sind Beseitigungskonzepte mit konkreten Zeitplänen zu erstellen. Der Abbruch der Geschäftsbeziehungen ist hingegen nur als ultima ratio im Gesetz vorgesehen. Der Gesetzentwurf verpflichtet Unternehmen sicherzustellen, dass es im eigenen Geschäftsbereich und bei ihren unmittelbaren Zulieferern zu keinen Verstößen gegen die Sorgfaltspflichten kommt, bzw. diese unverzüglich beendet werden.

Sowohl für ihre eigenen Mitarbeiter als auch für externe Dritte müssen Unternehmen ein Beschwerdesystem (Whistleblowing-System) einrichten, um die Abgabe vertraulicher Berichte und Hinweise zu ermöglichen. Die Wirksamkeit dieses Systems muss ebenfalls regelmäßig überprüft werden.

Risikoanalyse: Anforderungen

Die Risikoanalyse stellt eines der zentralen Aspekte des neuen Gesetzes dar. In der Praxis bedeutet dies für die Unternehmen, dass sie ihre individuellen Risiken hinsichtlich einer möglichen Verletzung von Menschen- oder Umweltrechten identifizieren und analysieren müssen. Die Risikoanalyse muss mindestens jährlich erneut erfolgen; bei besonderen Anlässen bzw. sich ändernden Risiken auch häufiger. Wie auch bereits im Bereich der klassischen Compliance-Risikoanalyse, müssen die Ergebnisse der Risikoanalyse anschließend gewichtet und risikobasiert priorisiert werden. Ausschlaggebend sind Art und Schwere der möglichen Verletzung. Anschließend müssen, unter Berücksichtigung der Interessen relevanter Stakeholder (laut Entwurf beinhaltet dies sowohl die Interessen der eigenen Arbeitnehmer des Unternehmers als auch die Interessen der Arbeitnehmer der Zulieferer), Maßnahmen getroffen werden, die dazu geeignet sind, der Verwirklichung derartiger Risiken vorzubeugen.

Handlungspflichten im Falle von Hinweisen auf Verstöße

Für mittelbare Zulieferer entlang der Lieferkette bis zum Rohstofflieferanten gilt lediglich eine abgestufte Verantwortung: Zur Risikoanalyse und Verankerung von präventiven Maßnahmen bzw. Umsetzung von Vermeidungsmaßnahmen sind die Unternehmen nur bei substantiierter Kenntnis von Menschenrechtsverletzungen, insbesondere über das nach dem Entwurf verpflichtend einzurichtende interne oder externe Beschwerdeverfahren verpflichtet.

Umweltrechtliche Aspekte

Der zunehmend stärkeren Bedeutung von umwelt-, sozial- und governancebezogenen Aspekten (ESG) in der betrieblichen Compliance-Betrachtung folgend, bezieht das neue Gesetz auch elementare Umweltschutzpflichten – gewissermaßen als Unterfall der Menschenrechte –  in den Schutzgegenstand der Sorgfaltspflicht mit ein. Dies ist insoweit beachtlich, als abweichend vom Verfassungsrecht der Umweltschutz im Sinne eines ökologischen Menschenrechtsschutzes – soweit ersichtlich – erstmals als Bestandteil der Menschenrechte angesehen wird. Erfasst soll der Umweltschutz insoweit sein, als Umweltschädigungen die Menschenrechte unmittelbar betreffen. Als relevantes Risiko werden  nicht nur die Herstellung von mit Quecksilber versetzten Produkten nach der Quecksilber-Konvention der Vereinten Nationen (sog. Minamata-Übereinkommen) und die Verwendung besonders gefährlicher, sog. langlebiger organischer Schadstoffe (Persistent Organic Pollutant – POP) nach dem Stockholmer-Übereinkommen erfasst, sondern insbesondere auch die allgemeine Herbeiführung potenziell nahrungs-/wasserentziehender oder gesundheitsschädigender Boden-, Gewässer- und Luftverunreinigungen und die Missachtung der Grundstandards des Arbeitsschutzes.

Vor dem Hintergrund aktueller Umweltthemen, wie etwa Umweltschäden durch Industrieunfälle sowie der Diskussionen über die Folgen der Rohstoffgewinnung für Elektroauto-Batterien, wird spannend sein zu sehen, welche Auswirkungen den recht weit gefassten Umwelt- und Arbeitsschutzrisken in der Praxis zukommen wird. Besondere Brisanz kommt solchen Umweltvorfällen künftig dadurch zu, dass inländische NGOs oder Gewerkschaften diese im Wege einer besonderen Prozessstandschaft öffentlichkeitswirksam in Deutschland geltend machen können.

Ausblick

Mit dem neuen Gesetz ist – soweit es den Weg durch den Bundestag passiert – der Einstieg in eine neue globale Lieferkettenverantwortung vollbracht. Zwar ist in Folge des Drucks des Wirtschaftsministeriums der Anwendungsbereich zunächst auf große Unternehmen beschränkt und die zivilrechtliche Haftung für Schadensfälle anderer Unternehmen in der Lieferkette wurde gestrichen. Obwohl der Einfluss auf entferntere, besonders kritische Lieferkettenbeziehungen daher anfangs sicherlich begrenzt bleiben wird, bedeutet die Neuregelung in jedem Fall ein wichtiges Signal zur weltweiten Einhaltung von Menschenrechten und Umweltvorgaben. Mit Blick auf die Erreichung eines Level-Playing-Fields bleibt der in Kürze zu erwartende EU-Richtlinienentwurf abzuwarten, der im Gegensatz zum deutschen Entwurf noch eine zivilrechtliche Haftung und Importverbote enthält.