EMGR bestätigt BVerfG im Fall Jones Day
Ein Blick auf die Auswertung sichergestellter Unterlagen aus internen Untersuchungen
Etwas unbemerkt hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eine für die Compliance- und Investigation-Praxis wichtige Entscheidung getroffen und die Jones-Day-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bestätigt. Damit ist ein vorläufiger Schlusspunkt unter die Diskussion über den Beschlagnahmeschutz von Ergebnissen interner Untersuchungen gesetzt. Diese hatte mit der Beschlagnahme von Ergebnissen der internen Untersuchung von Jones Day im Auftrag von Volkswagen wegen des Diesel-Skandals seinen Anfang genommen.
Im Beschwerdeverfahren hatte die Kanzlei Jones Day und einzelne ihrer Anwälte wegen der Durchsuchung ihrer Kanzleiräume an den EGMR gewandt. Am 21. November 2024 hat der EGMR die dahingehenden Beschwerden als offensichtlich unbegründet und damit unzulässig verworfen. Er entschied damit, dass die Durchsuchung sowie die Sicherstellung von Dokumenten und Daten, die Jones Day im Rahmen einer konzernweiten internen Untersuchung angefertigt hat, auch nach dem Prüfungsmaßstab der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) rechtmäßig war.
Zum Hintergrund der Durchsuchung
Die Volkswagen AG (VW) hatte im September 2015 Jones Day mit einer internen Untersuchung anlässlich des in den USA geführten Ermittlungsverfahrens zum Diesel-Skandal beauftragt. Die Audi AG (Audi) gestattete Jones Day als Tochtergesellschaft von VW Ermittlungen in ihrer Sphäre durchzuführen, wobei unter anderem Mitarbeiter von Audi zu den Vorwürfen befragt wurden. Ein eigenes Mandat hat Audi Jones Day aber nicht erteilt. Teile der Ergebnisse dieser internen Untersuchung wurden von Jones Day anschließend bei der Staatsanwaltschaft München II im Hinblick auf die bei ihr geführten Ermittlungsverfahren gegen einzelne Verantwortliche bei Audi mündlich vorgetragen.
Im März 2017 ließ die Staatsanwaltschaft München II daraufhin die Kanzleiräume in München durchsuchen. Dabei ging es um Betrugsvorwürfe im Hinblick auf die 3,0 Liter-Dieselmotoren von Audi. Das Ermittlungsverfahren führte die Staatsanwaltschaft zu diesem Zeitpunkt noch gegen unbekannte Verantwortliche von Audi; eine Nebenbeteiligung von Audi war noch nicht angeordnet. In der Durchsuchung wurden Dokumente und elektronische Daten beschlagnahmt, die Jones Day im Wege der internen Untersuchung angefertigt hatte, und die sich auf die 3,0 Liter-Dieselmotoren von Audi bezogen. Zeitgleich ermittelte die Staatsanwaltschaft Braunschweig gegen verschiedene VW-Mitarbeiter im Zusammenhang mit Vorwürfen zu den 2,0 Liter-Dieselmotoren von VW und ab April 2017 auch gegen VW selbst als Nebenbeteiligte wegen eines möglichen Bußgeldes.
Jones Day wandte sich gegen die Durchsuchung und die Sicherstellung der Dokumente. Nach erfolglosen Beschwerden beim Amtsgericht München und beim Landgericht München II folgten im Juni bzw. August 2017 Verfassungsbeschwerden von VW, Jones Day und drei Rechtsanwälten von Jones Day persönlich. Das BVerfG entschied im Wege einer einstweiligen Anordnung zwar zunächst, dass die Auswertung der sichergestellten Dokumente und Daten bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerden zu unterbleiben hatte. Überraschend beschloss das BVerfG am 27. Juni 2018 dann aber, die Verfassungsbeschwerden bereits wegen Unzulässigkeit nicht zur Entscheidung anzunehmen.
Die Erkenntnisse aus den Verfahren vor den deutschen Gerichten
Das BVerfG nahm dabei einen enttäuschend formalistischen Standpunkt ein und entschied im Wesentlichen wie folgt:
- Kanzleien mit Hauptsitz im EU-Ausland sind nicht grundrechtsfähig. Für sie besteht nur ein eingeschränkter Rechtsschutz gegen Beschlagnahmen. Das gilt jedoch nicht für die im Inland tätigen Rechtsanwälte der Kanzleien.
- 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO begründet ein Beschlagnahmeverbot nur bei einem Mandat, das zwischen dem Berufsgeheimnisträger und dem Beschuldigten im konkreten Ermittlungsverfahren besteht. Die gängige Interpretation dieser Vorschrift, dass diese wie Nr. 1 und 2 ein Verteidigungsverhältnis zu einem Beschuldigten erfordere, auch wenn dies im Wortlaut nicht angelegt ist, entspricht zulässigen Auslegungsregelungen und verletzt nicht spezifisches Verfassungsrecht.
- Eine beschuldigtenähnliche Stellung kann auch für ein Unternehmen bestehen. Tochtergesellschaften sind nicht durch ein Mandatsverhältnis zwischen der Muttergesellschaft und dem Berufsgeheimnisträger geschützt.
- Eine beschuldigtenähnliche Stellung liegt aber noch nicht vor, wenn ein Unternehmen lediglich ein gegen sich gerichtetes Ermittlungsverfahren befürchtet und deswegen eine Interne Untersuchung in Auftrag gibt. Es müssen objektive Kriterien vorliegen, die eine beschuldigtenähnliche Stellung nahelegen:
- Das Unternehmen muss zwar noch keine förmliche Verfahrensstellung haben. Aber es muss sich ein Verfahren gegen die juristische Person „objektiv abzeichnen“ und außerdem die Nebenbeteiligung „hinreichend wahrscheinlich“ sein.
- Auch ist es nicht notwendig, dass bereits ein Straf- oder Bußgeldverfahren gegen eine Leitungsperson i. S. d. § 30 Abs. 1 OWiG eingeleitet wurde. Es muss aber ein „hinreichender“ Verdacht für eine durch eine Leitungsperson begangene Straftat geben.
- Bei Beschlagnahmen bzw. Sicherstellungen zur Durchsicht ist § 160a StPO nicht anzuwenden, da ansonsten die engere Regelung des § 97 StPO ausgehebelt würde.
Der Beschluss des EGMR im Detail
Nachdem das BVerG die Verfassungsbeschwerden nicht angenommen hat, haben sich Jones Day und ihre Anwälte an den EGMR gewandt und eine Verletzung von Art. 8 EMRK geltend gemacht. Art. 8 EMRK normiert das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, der Wohnung und der Korrespondenz. Der EGMR stellt mit Urteil vom 21. November 2024 zwar fest, dass die Durchsuchung sowie die Sicherstellung der Dokumente und Daten tatsächlich in Art. 8 EMRK eingegriffen hat. Allerdings sei der Eingriff gerechtfertigt gewesen. Zur Begründung führte der EGMR folgende Punkte an:
- Die sichergestellten Dokumente und Daten waren nicht vom Anwaltsgeheimnis geschützt. Die Durchsuchung betraf Dokumente und Daten eines außerhalb des Mandatsverhältnisses zwischen Jones Day und VW stehenden Dritten – nämlich Audi. Diese Dokumente und Daten hatte Jones Day zwar im Auftrag des Mandanten VW erhalten und angefertigt. Sie betrafen aber gerade nicht das dortige Mandatsverhältnis als solches. Auch war Audi selbst zum Zeitpunkt der Durchsuchung nicht vom Ermittlungsverfahren betroffen.
- Als die Maßnahmen angeordnet wurden, wurden die unterschiedlichen Interessen – insbesondere das Anwaltsgeheimnis – ausreichend berücksichtigt. Auch habe das Landgericht München I ausführlich erklärt, warum die Ergebnisse der internen Untersuchung bei Audi wichtige Beweismittel für die Ermittlung der Anklage waren und warum die Staatsanwaltschaft diese Beweismittel auf keine andere Weise hätte erhalten können.
- Der Eingriff war angesichts dessen, dass Audi nicht Mandant von Jones Day war, die sichergestellten Dokumente und Daten nicht in dem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Braunschweig verwendet werden konnten und mit Blick auf den weiten Ermessensspielraums der nationalen Gerichte gerechtfertigt.
Welche Konsequenzen hat die Rechtsprechung für die Praxis?
- Die Rechtsprechung zeigt, dass bei konzernweiten internen Untersuchungen sorgfältig abgewogen werden muss, mit welchen der Gesellschaften des Konzerns das Mandatsverhältnis geschlossen wird. Separate Mandatsverhältnisse erhöhen insoweit den Rechtschutz gegen Beschlagnahmen. In diesem Zusammenhang sollten auch der Umfang und die Grenzen des Mandats präzise definiert werden.
- Werden interne Untersuchungen von Verteidigern als Ermittler durchgeführt, sind Rollenkonflikte zwischen der erforderlichen umfassenden und objektiven Aufklärung sowie der Verteidigung als solche zu erwarten. Insoweit müssen die Ziele der internen Untersuchung vorab klar definiert und insbesondere auf Fragestellungen, die für die Strafverteidigung relevant sind, fokussiert werden.
- Wichtig ist, im Vorfeld einer Untersuchung zu klären, wie wichtig der Schutz der Untersuchungsergebnisse vor Sicherstellung und Beschlagnahme ist. Je nach Zuschnitte der internen Untersuchung sollte dann wie dies im gescheiterten Entwurf des Verbandssanktionengesetzes bereits angelegt war – darüber nachgedacht werden, ob die Strafverteidigung von der internen Ermittlung getrennt wird und beide Rollen von unterschiedlichen Kanzleien ausgeführt werden.