Aktuelles von Pohlmann & Company

30.09.2021

„Compliance-Defense“ im Wettbewerbsrecht

Was bedeutet eigentlich „angemessen und wirksam“?

Die Novellierung des GWB – Einführung einer „Compliance-Defense“

Wie bereits vor einigen Monaten in unserem Blog-Beitrag berichtet, ist am 19. Januar 2021 die 10. GWB Novelle mit dem Namen „Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen für ein fokussiertes, proaktives und digitales Wettbewerbsrecht 4.0 und anderer wettbewerbsrechtlicher Bestimmungen“ (GWB-Digitalisierungsgesetz) in Kraft getreten. Mit dem GWB-Digitalisierungsgesetz hat der Gesetzgeber unter anderem die Möglichkeit zur sog. „Compliance-Defense“ eingeführt, mit Hilfe derer Unternehmen künftig etwaige Bußgeldzahlungen für wettbewerbsrechtliche Verstöße verringern können. Konkret bestimmt die neu gefasste Vorschrift des § 81d GWB, dass bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße unter anderem die nachfolgenden Umstände abzuwägen sind:

„Vorausgegangene Zuwiderhandlungen des Unternehmens sowie vor der Zuwiderhandlung getroffene angemessene und wirksame Vorkehrungen zur Vermeidung und Aufdeckung von Zuwiderhandlungen“ (Ziffer 4)

sowie

„Das Bemühen des Unternehmens die Zuwiderhandlung aufzudecken und den Schaden wiedergutzumachen sowie nach der Zuwiderhandlung getroffene Vorkehrungen zur Vermeidung und Aufdeckung von Zuwiderhandlungen.“ (Ziffer 5).

Diese Neuregelung hat die Bedeutung, die wettbewerbsrechtsspezifische Compliance-Maßnahmen für Unternehmen haben können, erheblich gesteigert.

Die „Standards effektiver Compliance“

Nach der Neuregelung sind zukünftig wettbewerbsrechtlich-relevante Compliance-Maßnahmen, unabhängig davon, ob diese vor oder nach der Zuwiderhandlung getroffen wurden, bei der Berechnung eines möglichen Bußgelds zu berücksichtigen. Dies gilt aber nur, soweit diese Maßnahmen angemessen und wirksam sind. Doch was bedeutet das konkret?

Ausweislich der Gesetzesbegründung sollen Compliance-Maßnahmen angemessen und wirksam sein, wenn der „Inhaber eines Unternehmens alle objektiv erforderlichen Vorkehrungen ergriffen hat, um Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen durch Mitarbeiter wirksam zu verhindern„. Dies sei in der Regel anzunehmen, „wenn die ergriffenen Maßnahmen zur Aufdeckung und Anzeige der Zuwiderhandlung geführt haben.“

Im Juni 2021 hat sich nun auch das Bundeskartellamt zur „Ermittlung der angemessenen Compliance-Maßnahmen“ zu Wort gemeldet, und zwar in Entwürfen der sog. „Leitlinien zur vorzeitigen Löschung einer Eintragung aus dem Wettbewerbsregister wegen Selbstreinigung“ sowie praktischen Hinweise zur „Vorzeitige[n] Löschung aus dem Wettbewerbsregister wegen Selbstreinigung“. Hintergrund der Leitlinien ist die Einführung eines Wettbewerbsregisters für durch Fehlverhalten auffällig gewordene Unternehmen. Im Falle einer sogenannten „Selbstreinigung“ sollen solche Unternehmen sich wieder aus dem Register löschen lassen können. Die seitens des Bundeskartellamts für die Selbstreinigung als relevant bezeichneten Compliance-Maßnahmen bieten, wie nachfolgend dargestellt, auch darüber hinaus eine wichtige Orientierungshilfe für wettbewerbsrechtliche Compliance-Maßnahmen.

Konkret beschreibt das Bundeskartellamt, dass die getroffenen Compliance-Maßnahmen nicht nur eine angemessene Reaktion auf das sanktionierte Fehlverhalten darstellen müssen, sondern auch erwarten lassen müssen, dass zukünftiges Fehlverhalten entsprechend verhindert wird. Die Grundlage für die Bestimmung der notwendigen Compliance-Maßnahmen bildet dabei stets eine unternehmens- und deliktbezogene Risikoanalyse. Die spezifische Situation des Unternehmens soll in die Bewertung der Compliance-Maßnahmen miteinbezogen werden. Folglich kommen als angemessene und wirksame Maßnahmen die Einführung oder Anpassung eines Compliance Management Systems (CMS) in Betracht, ebenso aber auch zielgerichtete Einzelmaßnahmen.

Unabhängig von Art und Umfang der getroffenen Maßnahmen berücksichtigt die Registerbehörde, inwiefern die Risikoanalyse und die Maßnahmen den etablierten Standards effektiver Compliance gerecht werden.“[1] Diese „Standards effektiver Compliance“ werden im Entwurf der praktischen Hinweise zur „Vorzeitige[n] Löschung aus dem Wettbewerbsregister wegen Selbstreinigung“ näher definiert. Sie beinhalten insbesondere die folgenden Compliance-Maßnahmen:

  • eine Risikoanalyse;
  • Anpassungen der Organisations- und Aufsichtsstruktur;
  • ein Bekenntnis der Unternehmensleitung zu rechtskonformen Handeln;
  • eine sorgfältige Auswahl, Schulung und Kontrolle der Unternehmensbeschäftigten;
  • den Umgang mit Hinweisen / ein Hinweisgebersystem;
  • angemessene Ressourcen und Kompetenzen der verantwortlichen Personen;
  • Anreize für die Beachtung der Compliance-Anforderungen und Ahndung von Zuwiderhandlungen;
  • die Evaluation und Anpassung der Compliance-Maßnahmen.

Zu den jeweiligen Maßnahmen nennt das Bundeskartellamt beispielhafte Fragestellungen und liefert Unternehmen so eine wertvolle Orientierungshilfe im Hinblick auf die individuelle Eruierung und Umsetzung solcher Maßnahmen.

Praktische Konsequenzen

Zu den „Standards effektiver Compliance“ ist insbesondere anzumerken, dass es keineswegs immer einer Umsetzung aller genannten Elemente bedarf. Das Bundeskartellamt weist explizit darauf hin, dass es nicht darum geht, möglichst viele Maßnahmen so schnell wie möglich umzusetzen. Vielmehr sollen Unternehmen individuell angemessen handeln und reagieren und auf Basis einer Risikoanalyse unter Einbezug der jeweiligen Gegebenheiten und Geschäftsfelder des Unternehmens zielgerichtete Compliance-Maßnahmen umsetzen.

Die kürzlichen Entwürfe des Bundeskartellamts legen zudem nah, dass die Bedeutung der Definition der „Standards effektiver Compliance“ weit über den Kontext der Selbstreinigung hinausgeht. Das Bundeskartellamt hat durch die oben beschriebene Definition wichtige Hinweise für die „Compliance-Defence“ im Allgemeinen geliefert. Unternehmen sollten die praktischen Hinweise des Bundeskartellamts nutzen, um präventiv ein effektives wettbewerbsrechtliches Compliance-Management einzurichten und zu betreiben.

Wir beraten Sie diesbezüglich nicht nur bei der Aufarbeitung potenziellen Fehlverhaltens, sondern auch gerne bei der Umsetzung neuer oder Anpassung bestehender wettbewerbsrechtlicher Compliance-Maßnahmen. Unsere langjährige Erfahrung in der Compliance Management Prüfung und Bewertung, auch entlang anderer (internationaler) Standards und Leitsätze, ermöglicht es uns, die seitens des Bundeskartellamts erwarteten „Standards effektiver Compliance“ – auch in ihrem Unternehmen mit Leben zu füllen.

Nachdem im Zuge der öffentlichen Konsultation verschiedene Verbände, Institute, Ministerien etc. zu den Entwürfen Stellung genommen haben, ist in naher Zukunft mit Umsetzungsschritten zu rechnen. Wie gewohnt werden wir die weitere Entwicklung in den kommenden Wochen und Monaten für Sie verfolgen und hierzu auf unserem Blog berichten.  Sofern Sie Fragen haben, sprechen Sie uns gerne jederzeit an.


Links:

Leitlinien zur vorzeitigen Löschung einer Eintragung aus dem Wettbewerbsregister wegen Selbstreinigung

Vorzeitige Löschung aus dem Wettbewerbsregister wegen Selbstreinigung – Praktische Hinweise für einen Antrag – 

[1] „Leitlinien zur vorzeitigen Löschung einer Eintragung aus dem Wettbewerbsregister wegen Selbstreinigung“, Abs. 29.