Aktuelles von Pohlmann & Company

26.09.2023

Auf zu neuen Ufern: Die Notwendigkeit rechtlicher Qualifikationen für Compliance Officer überdenken

Einleitung:

Compliance Officer erfüllen in Unternehmen eine wichtige Funktion, indem sie für die strikte Einhaltung von Gesetzen, internen Richtlinien und Verfahren sowie für die Wahrung ethischer Standards sorgen. In der Vergangenheit war es üblich, dass Compliance Officer aufgrund der vielfältigen rechtlichen Aspekte, die mit dieser Funktion verbunden sind, qualifizierte Juristen sein sollten.[1] In diesem Blogbeitrag wird diese Annahme jedoch in Frage gestellt und dargelegt, dass juristisches Wissen und die Kenntnis von Gesetzesveröffentlichungen zwar von entscheidender Bedeutung sind, aber keine unabdingbare Voraussetzung für Compliance Officer darstellt, um Abläufe effektiv zu überwachen. Interessanterweise bieten Personen ohne juristischen Hintergrund oft ausgeprägte Perspektiven und geschäftsorientierte Einblicke, welche die Compliance-Bemühungen stärken und in der Folge potenzielle Risiken im Zusammenhang mit der Einhaltung von Vorschriften mindern können.

I. Verständnis von Compliance

Compliance Officer sind für die Entwicklung und Umsetzung von Richtlinien, Verfahren und internen Kontrollen zuständig, um die Einhaltung von Gesetzen, Vorschriften und internen Arbeitsanweisungen zu gewährleisten. Ihre Aufgabe geht über die Auslegung von Gesetzen hinaus; dieses Aufgabenfeld erfordert ein umfassendes Verständnis der Arbeitsabläufe, der Unternehmenskultur und der Risikoexposition des Unternehmens. Compliance Officer müssen in der Lage sein, Risiken aus verschiedenen Bereichen, wie Gesetzesänderungen, betriebliche Prozesse, regionale Präsenz und aufkommende Branchentrends, zu erkennen, zu bewerten und zu bewältigen. Darüber hinaus sollten sie geopolitische Entwicklungen mit Bedeutung für das eigene Unternehmen im Blick behalten und schnell auf diese reagieren können. Auch wenn juristisches Wissen hier zweifellos wichtig ist, benötigen Compliance Officer ein breiteres Spektrum an Fähigkeiten, das über juristisches Fachwissen hinausgeht.

II. Die Vorteile von Rechtskenntnissen in Compliance-Rollen

Rechtliche Kenntnisse bieten einem Compliance Officer eine solide Grundlage für die Auslegung komplexer rechtlicher Rahmenbedingungen, die Navigation durch rechtliche Anforderungen und die Gewährleistung der Einhaltung von Vorschriften im Unternehmen. Dies ermöglicht es ihnen, potenzielle rechtliche Risiken zu erkennen, die Auswirkungen gesetzlicher Änderungen zu bewerten und geeignete Strategien zur Risikominderung zu entwickeln. Compliance Officer mit juristischen Qualifikationen beherrschen die Analyse von Gesetzen, Vorschriften und Rechtsgutachten, um die Anwendbarkeit und die Auswirkungen auf ihre Organisationen zu bestimmen. Darüber hinaus ist juristisches Fachwissen von entscheidender Bedeutung für den Umgang mit aufkommenden Ermittlungen, Durchsetzungsmaßnahmen und Rechtsstreitigkeiten, um sicherzustellen, dass die Organisation gut für die Bewältigung von rechtlichen Herausforderungen gerüstet ist.

III. Die Vorteile von Nicht-Juristen als Compliance Officer

Im folgenden Abschnitt werden die Vorteile von Nicht-Juristen als Compliance Officer untersucht und den Einschränkungen gegenübergestellt, die entstehen, wenn ausschließlich auf Volljuristen gesetzt wird. Juristisches Fachwissen ist zwar notwendig, aber auch betriebliches Knowhow, Kenntnisse der Daten-getriebenen Compliance und ausgeprägte Kommunikationsfähigkeiten sind für Compliance Officer wichtig. Diese Vorteile verbessern die Compliance-Bemühungen und bringen sie in Einklang mit den praktischen Gegebenheiten des Geschäftsbetriebs.

  1. Ausgewogene Fähigkeiten: Konzentriert sich der Schwerpunkt zu sehr auf die juristischen Qualifikationen, können die für eine wirksame Einhaltung der Vorschriften erforderlichen Fähigkeiten übersehen werden. Compliance Officer benötigen ein umfassendes Verständnis von Geschäftsabläufen, Risikomanagement und ethischer Entscheidungsfindung, das über rechtliche Erwägungen hinausgeht. Compliance-Programme sollten in ein breiteres Risikomanagement- und Governance-Rahmenwerk integriert werden, anstatt ausschließlich auf die Einhaltung rechtlicher Vorschriften zu achten. Compliance Officer, die keine Juristen sind, bringen eine umfassende Perspektive mit, die es ihnen ermöglicht, Compliance-Lücken zu erkennen, aufkommende Risiken zu adressieren und wirksame Kontrollmechanismen zu implementieren.
  2. Geschäftsorientierte Perspektive: Die ausschließliche Beauftragung von Volljuristen mit Compliance-Aufgaben kann dazu führen, dass ihnen das Wissen über die alltäglichen Abläufe im Unternehmen fehlt. Anwälte verfügen zwar über juristisches Fachwissen, sind aber möglicherweise nur begrenzt mit den betrieblichen Feinheiten vertraut, welches für eine proaktive Herangehensweise an Compliance-Herausforderungen essenziell ist. Compliance Officer, die keine Anwälte sind, verfügen oft über wertvolle Kenntnisse des Geschäftsumfelds, der Branchenpraktiken und der Kundenerwartungen. Unter Nutzung dieser Erkenntnisse, können Compliance-Anforderungen mit den strategischen Zielen in Einklang gebracht und aus der Geschäftsperspektive praktischere sowie effektivere Compliance-Lösungen erarbeitet werden.
  3. Datengetriebene Compliance: Nicht-Juristen in Compliance-Funktionen dürften weniger Schwierigkeiten haben, die von Unternehmen gesammelten umfangreichen Datenmengen, effektiv zu interpretieren und zu nutzen. Aufgrund der Tatsache, dass Unternehmen zunehmend versuchen, Daten über Kunden, Lieferanten, Konkurrenten und interne Prozesse zu sammeln, ist es von zentraler Bedeutung, diese Daten zu nutzen, um die Einhaltung interner Regeln und Vorschriften zu bewerten und potenziell betrügerische oder unethische Transaktionen aufzudecken. Compliance Officer, die über ein tiefes Verständnis der Geschäftsabläufe verfügen, haben einen natürlichen Vorteil diese Daten korrekt zu interpretieren und effektiv zu nutzen. Für Juristen, die möglicherweise nicht in gleichem Maße mit den Feinheiten der Unternehmenstätigkeit vertraut sind, kann es eine Herausforderung sein, die potenziellen Erkenntnisse aus den gesammelten Daten voll zu nutzen.
  4. Kommunikation und Zusammenarbeit: Nichtjuristen haben außerdem den Vorteil, dass sie im Zuge ihres umfassenden Wissens der Geschäftsabläufe effektiv mit allen Beteiligten im Unternehmen kommunizieren und zusammenarbeiten können. Während die Compliance Officer durch eine starke Kommunikation und Zusammenarbeit eine Compliance-Kultur fördern müssen, sind Nicht-Juristen, insbesondere solche aus verschiedenen Abteilungen, in diesen Bereichen oft besonders gut. Sie verfügen über die Fähigkeit, Beziehungen aufzubauen und mit verschiedenen Teams zusammenzuarbeiten, um die erfolgreiche Umsetzung von Compliance-Maßnahmen zu gewährleisten. Compliance Officer mit Business Hintergrund können die Kluft zwischen den rechtlichen Anforderungen und der praktischen Geschäftsrealität überbrücken, indem sie die Compliance-Erwartungen effektiv vermitteln und maßgeschneiderte Anleitungen für spezifische betriebliche Kontexte liefern.

IV. Die Rolle von Nicht-Juristen als Compliance Officer, welche innerhalb des Unternehmens rekrutiert werden

Das Regelungsumfeld entwickelt sich rasch weiter und verlangt von Compliance Officern ein breiteres Spektrum an Fähigkeiten. Unserer Erfahrung nach erkennen die Aufsichtsbehörden zunehmend den Wert von unterschiedlichen Hintergründen und Fachkenntnissen in Compliance-Funktionen an. Viele erfolgreiche Compliance Officer haben einen nicht-juristischen Hintergrund und nutzen ihr Wissen über Geschäftsabläufe, Branchennuancen und zwischenmenschliche Fähigkeiten, um effektive Compliance-Programme voranzutreiben. Nichtjuristen bringen eine neue Perspektive ein, stellen den Status quo in Frage und fördern innovative Ansätze zur Einhaltung von Vorschriften, die mit den Zielen des Unternehmens übereinstimmen. Ihre Fähigkeit, juristisches Verständnis mit einer breiteren Geschäftsperspektive zu verbinden, kann Unternehmen dabei helfen, sich in einem komplexen regulatorischen Umfeld zurechtzufinden und gleichzeitig operative Spitzenleistungen zu erzielen.

Dies gilt insbesondere für Compliance Officer, die aus dem Unternehmen selbst rekrutiert wurden. Daraus resultieren mehrere Vorteile. Erstens sind interne Mitarbeiter bereits mit der Kultur, den Abläufen und Prozessen der jeweiligen Organisation vertraut. Sie verfügen über genaue institutionelle Kenntnisse, die es ihnen ermöglichen, die einzigartigen Compliance-Herausforderungen schnell zu erfassen und ihre Ansätze entsprechend anzupassen. Zweitens besitzen sie bereits etablierte Beziehungen und Netzwerke innerhalb des Unternehmens, was die Zusammenarbeit und Kommunikation mit verschiedenen Abteilungen erleichtert. Auf diese Weise können intern rekrutierte Compliance-Beauftrage effektiven Buy-In für Compliance-Initiativen gewinnen. Drittens bringen interne Mitarbeiter ein tiefes Verständnis für die Ziele und die strategische Ausrichtung des Unternehmens mit, sodass sie die Compliance-Bemühungen auf die allgemeine Unternehmensstrategie abstimmen können. Diese Abstimmung fördert einen proaktiven und integrierten Ansatz zur Einhaltung von Vorschriften und erhöht die Wirksamkeit von Compliance-Programmen.

Ergänzend dazu schaffen interne rekrutierte Compliance-Mitarbeiter oft Vertrauen und Glaubwürdigkeit unter ihren Kollegen, da sie im Unternehmen bereits bekannt und respektiert sind. Insgesamt fördert die interne Einstellung der Compliance Officer die Kontinuität, das organisatorische Wissen und die nahtlose Integration in bestehende Abläufe, was letztlich zu besseren Compliance-Ergebnissen führt.

V. Ein kooperativer und interdisziplinärer Ansatz: Das ideale Compliance Office

Das ideale Compliance Office kombiniert juristisches Fachwissen mit anderen relevanten Fähigkeiten. Unternehmen sollten sich bemühen, vielfältige Compliance-Teams zusammenzustellen, die sowohl Fachleute mit juristischem und wirtschaftlichem als auch anderem spezialisiertem Hintergrund umfassen. Die Zusammenarbeit innerhalb von Compliance-Teams fördert einen ganzheitlichen Compliance-Ansatz, bei dem die Stärken der einzelnen Teammitglieder genutzt werden, um ein effektives Compliance-Risikomanagement und ethisches Unternehmensverhalten zu gewährleisten. Durch die Förderung der interdisziplinären Zusammenarbeit können Unternehmen eine Reihe von Perspektiven und Erkenntnissen nutzen, um solide Compliance-Strategien zu entwickeln, die auf die besonderen Bedürfnisse des Unternehmens zugeschnitten sind. Dieser kollaborative Ansatz überwindet die Silos zwischen Rechts-, Risiko- und Geschäftsfunktionen und ermöglicht es den Compliance Officern, unterschiedliche Perspektiven, Fachkenntnisse und Erfahrungen zu nutzen.

Schlussfolgerung:

Obwohl juristisches Wissen in Compliance-Funktionen nach wie vor wertvoll ist, wird die gängige Praxis, Compliance Officer benötigten eine juristische Qualifikation, in Frage gestellt. Compliance-Mitarbeiter mit nicht-juristischem, insbesondere betriebswirtschaftlichem Hintergrund bringen einzigartige Perspektiven, geschäftsorientierte Einblicke und ergänzende Fähigkeiten mit, die die Compliance-Bemühungen verbessern. Schon heute sehen wir, dass Unternehmen einen vielfältigen Ansatz verfolgen, indem sie Mitarbeiter (auf Zeit) aus dem Unternehmen in die Compliance-Abteilung des Unternehmens einbeziehen, um deren Prozesswissen zu nutzen, oder sogar spezialisierte Compliance-Abteilungen aufbauen, die in das Geschäft eingebettet sind und mit erfahrenen Mitarbeitern besetzt sind, z. B. ‚Projekt Management Compliance‘, ‚Sales Compliance‘, ‚Finance Compliance‘.

Durch die Erweiterung der traditionellen Qualifikationen für Compliance Officer können Unternehmen auf einen vielfältigen Pool von Talenten (sowohl intern als auch extern) zurückgreifen und Teams zusammenstellen, die sich besser in einem komplexen rechtlichen Umfeld zurechtfinden, ethisches Verhalten steigern und die strategischen Ziele des Unternehmens unterstützen. Die Überwindung der Grenzen traditioneller Qualifikationen ebnet den Weg für eine integrativere und effektivere Compliance-Funktion, die einen multidisziplinären Ansatz verfolgt.

[1] https://digitalcommons.law.uw.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=5124&context=wlr