EU Green Deal nach OMNIBUS: Compliance als Wegbereiter nachhaltiger Transformation

Nachhaltigkeitsregulierung im Wandel: Warum vorausschauendes Compliance-Management zum Wettbewerbsvorteil wird

Am 26. Februar 2025 veröffentlichte die EU-Kommission die ersten beide Pakete ihrer Omnibus-Initiative (Omnibus I und II) zur Bürokratieentlastung von Unternehmen.¹ Diese Initiative markiert einen entscheidenden Wendepunkt für die Anforderungen an die europäische Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD und Taxonomie) und die Sorgfaltspflichten für Unternehmen (CSDDD). Sie stellt wesentliche Teile des seit 2019 verabschiedeten EU-Green Deals² auf den Prüfstand und orientiert sich am neuen „EU-Clean Industrial Deal“³. Für Unternehmen bedeutet dies eine Zeit der Neuorientierung und Verunsicherung. Während die vorgeschlagenen Änderungen zunächst erhebliche Entlastungen bei der Berichterstattung und vereinfachte Sorgfaltspflichten versprechen, schaffen sie zugleich erhebliche Unsicherheiten.

Die Omnibus-Vorschläge der Kommission markieren jedoch nur den Auftakt des Gesetzgebungsprozesses. Der finale Rechtsrahmen wird erst nach den Verhandlungen zwischen Europäischem Parlament und Europäischen Ministerrat feststehen. Die laufenden Gesetzgebungsverfahren und die angekündigten weiteren Änderungsvorschläge für weitere (OMNIBUS-)Vereinfachungs-Pakete zwingen Unternehmen dazu, ihre ESG- und Compliance Ansätze in einem Umfeld permanenter regulatorischer Veränderungen strategisch neu zu bewerten und anzupassen. Dabei bleibt trotz Deregulierung eine überzeugte ESG-Strategie sinnvoll und ein zukunftsfähiges Compliance-Management-System ein echter Wettbewerbsvorteil in Zeiten regulatorischer Unsicherheit.

„Gerade in dieser Phase der Unsicherheit zeigt sich, wie wertvoll robuste Compliance- und Governance-Strukturen sind. Sie bieten nicht nur Orientierung im Wandel, sondern sichern das Vertrauen der Kunden und Partner – unabhängig davon, wie sich die regulatorische Lage entwickelt.“

Uwe M. Erling, Partner

ESG bleibt trotz Deregulierung ein entscheidender Faktor

Während die EU mit ihrer OMNIBUS-Initiative eine deutliche Kurskorrektur in der Nachhaltigkeitsregulierung einschlägt und die USA ebenfalls ESG-Vorschriften zurückfahren, stellt sich für Unternehmen weltweit eine zentrale Frage: Ist ESG noch relevant, wenn die großen Wirtschaftsregionen ihre Regulierung abbauen? Aus unserer Sicht ist die Antwort ein klares „Ja“ – und die Gründe dafür reichen weit über die aktuelle regulatorische Diskussion hinaus.

  • Langfristige Risikominimierung: ESG-Management ist fundamentaler Risikoschutz. Klimawandel, Ressourcenknappheit und soziale Herausforderungen existieren unabhängig von politischen Zyklen. Unternehmen, die diese Risiken proaktiv managen, sind besser gegen zukünftige Schocks gewappnet – egal ob diese durch neue Regulierung, Marktveränderungen oder physische Klimaauswirkungen entstehen.
  • Marktdynamik bleibt bestehen: Auch wenn die aktuell vorgeschlagenen Änderungen viele ursprünglich betroffene Unternehmen von formellen Berichtspflichten befreien –  die zugrundeliegenden Marktmechanismen bleiben bestehen. Auch zukünftig werden große Konzerne bestimmte Nachhaltigkeitsdaten in den Wertschöpfungskette bei nicht-berichtspflichtige Unternehmen abfragen. Die Einführung eines sog. „value-chain-cap“ mag zwar den Informationsfluss regulieren, entbindet kleinere Unternehmen jedoch nicht vollständig von der Notwendigkeit, relevante ESG-Daten zu erheben und bereitzustellen.
  • Investoren fordern weiterhin Transparenz: Kapitalmärkte entwickeln sich unabhängig von regulatorischen Schwankungen. Investoren, Banken und Versicherungen haben ESG-Kriterien längst fest in ihre Bewertungsmodelle integriert. Die angekündigte Überarbeitung der Anforderungen an die Standards der Nachhaltigkeitsberichterstattung (ESRS) mit verbesserter „Interoperabilität mit globalen Berichtsstandards“ zeigt: Der Trend geht zu mehr, nicht weniger internationaler Harmonisierung von Nachhaltigkeits-standards.
  • Wettbewerbsvorteile durch Proaktivität: Unternehmen, die ihre ESG-Strategien jetzt zurückfahren, riskieren erhebliche Wettbewerbsnachteile. Während die regulatorischen Anforderungen möglicherweise aktuell nachlassen, steigen die Erwartungen von Kunden, Mitarbeitern und Geschäftspartnern kontinuierlich. Die vorgeschlagene Fokussierung auf „quantitative Informationen“ in den zu überarbeiteten ESRS-Standards ist ein Beleg dafür, dass messbare Nachhaltigkeitsleistung zunehmend geschäftskritisch wird. Die Auswirkungen dieser regulatorischen Fluktuation spiegeln sich deutlich in der Unternehmenspraxis wider.

„Viele unserer Mandanten und Mandantinnen sind verunsichert aufgrund der OMNIBUS-Initiative. Gemeinsam erarbeiten wir mit ihnen Lösungsansätze und beraten sie in einer langfristig nachhaltigen Berichterstattungs-Kultur, die auch außerhalb der OMNIBUS-Initiative nützlich ist.“

Nicole Willms, Partner

Strategische Ansätze für ein zukunftsfähiges Compliance-Management

Anstatt lediglich reaktiv auf die sich ändernden regulatorischen Anforderungen zu reagieren, empfiehlt sich aus Compliance-Sicht ein proaktiver Ansatz mit folgenden Aspekten:

Beibehaltung Governance-Strukturen: Es ist sinnvoll, etablierte Delegations- und Berichtswege zunächst beizubehalten, da sie Unternehmen in der aktuellen Übergangsphase Stabilität und Orientierung bieten. Die durch verlängerte Fristen gewonnene Zeit kann genutzt werden, um ESG-Governance-Strukturen gezielt weiterzuentwickeln und bestehende Prozesse nachhaltig zu optimieren, ohne bewährte Routinen vorschnell aufzugeben. Bereits eingeleitete Maßnahmen, wie zum Beispiel die CSRD-Wesentlichkeitsanalyse, liefern wertvolle Erkenntnisse für eine kritische Bestandsaufnahme und gezielte Verbesserungen.

  • Schutz vor Greenwashing: Unabhängig von aktuellen regulatorischen Veränderungen hat der Bundesgerichtshof bereits 2024 klargestellt, dass umweltbezogene Werbeaussagen aufgrund der besonderen Emotionalität des Themas einem erhöhten Aufklärungsbedarf unterliegen und daher besonders strengen rechtlichen Anforderungen genügen müssen – ebenso wie gesundheitsbezogene Werbung. Vor dem Hintergrund der fortbestehenden Gefahr von Greenwashing gewinnt ein transparentes und glaubwürdiges Nachhaltigkeitsmanagement weiter an Bedeutung, insbesondere in Zeiten, in denen Berichts- und Prüfpflichten vermeintlich gelockert werden. Unternehmen, die hier einen selbstdefinierten und widerstandsfähigen Ansatz leben, stärken nicht nur nachhaltig ihre Reputation, sondern schützen sich effektiv vor regulatorischen Risiken.
  • Sicherung der Glaubwürdigkeit gegenüber Stakeholdern: Die Beibehaltung strukturierter und harmonisierter ESG- und Compliance-Prozesse und -Kontrollen sichert die Verlässlichkeit und Integrität des Reportings im Unternehmen – ein klares Signal gegenüber allen Stakeholdern. Dies stärkt nicht nur das Vertrauen in die Berichterstattung, sondern auch in die Unternehmensführung als solche.
  • Integrierte Nachhaltigkeitsberichterstattung: Die Entwicklung und Etablierung eines integrierten Reporting-Systems, das Nachhaltigkeitsdaten systematisch erfasst, aufbereitet und in Beziehung zu anderen unternehmensrelevanten Daten setzt, schafft langfristige handfeste Vorteile – unabhängig davon, welche spezifischen gesetzlichen Berichtspflichten letztendlich gelten. Ein ausgereiftes Reporting stärkt nicht nur die betriebliche Effizienz, sondern verbessert auch die interne Steuerungsfähigkeit: Es erhöht die Planungssicherheit, unterstützt fundierte Entscheidungen und ermöglicht es Unternehmensleitung, Aufsichtsorganen und weiteren Gatekeepern, schneller und gezielter auf Risiken und Chancen zu reagieren.
  • Langfristige Perspektive statt kurzfristigen Compliance-Aktionismus: Die Überarbeitung der Nachhaltigkeitsregeln sollte als Anlass verstanden werden, die eigenen Governance- und Compliance-Strukturen grundlegend zu überdenken. Es geht nicht nur darum, kurzfristig regelkonform zu sein, sondern eine nachhaltige Berichterstattungs- und Compliance-Kultur zu etablieren, die regulatorische Änderungen absorbieren kann und gleichzeitig echten Mehrwert für das Unternehmen und seine Stakeholder schafft. Unternehmen, die diese Herausforderung als Chance begreifen und entsprechende Strukturen aufbauen, werden langfristig von ihrer Anpassungsfähigkeit und dem strategischen Umgang mit Nachhaltigkeitsthemen profitieren – unabhängig davon, wie sich die OMNIBUS-Initiative letztlich konkret ausgestaltet.

Ausblick

Die OMNIBUS-Initiative mag den regulatorischen Rahmen für Nachhaltigkeit in der EU neu gestalten, doch Unternehmen, die ESG-Aspekte und Compliance-Management strategisch in ihre Unternehmensführung integrieren, werden auch in Zeiten regulatorischer Unsicherheit widerstandsfähiger sein und langfristig von ihrer vorausschauenden Haltung profitieren – auch als Chance für nachhaltige Wettbewerbsvorteile in einem sich wandelnden Wirtschaftsumfeld.

Ansprechpartner: Uwe M. Erling und Nicole Willms


¹ COM (2025) 80 und 81 final vom 26. Februar 2025.

² Mitteilung der Kommission, „Der europäische Grüne Deal“, COM (2019) 640 final vom 11. Dezember 2019.

³ Mitteilung der Kommission, „Der Deal für eine saubere Industrie: Ein gemeinsamer Fahrplan für Wettbewerbsfähigkeit und Dekarbonisierung“, COM (2025) 85 final vom 26. Februar 2025.