Neue Enforcement Policies des DOJ: Überblick und Inhalte
Am 12. Mai 2025 hat das US-Justizministerium (Department of Justice, „DOJ“) einen umfassenden Kurswechsel bei der strafrechtlichen Verfolgung von Wirtschafts- und Unternehmenskriminalität verkündet. Die für Angelegenheiten der Strafverfolgung zuständige Criminal Division hat dazu vier zentrale Leitlinien veröffentlicht, die einen neuen „White-Collar Enforcement Plan“ sowie überarbeitete Richtlinien zur freiwilligen Selbstanzeige, zum Whistleblower-Programm und zu der Bestellung von Compliance-Monitoren enthalten. Der im März 2025 ernannte Leiter der Criminal Division, Matthew R. Galeotti, äußerte in seiner Rede auf einer Konferenz zur Bekämpfung von Geldwäsche und Finanzkriminalität in diesem Zusammenhang, die Criminal Division schlage ein neues Kapitel bei der Durchsetzung von Wirtschafts- und Unternehmensstrafrecht auf. Der neue Ansatz solle die Strafverfolgung im Bereich der Wirtschaftskriminalität gezielt auf die zentralen Bedrohungen für die Vereinigten Staaten ausrichten.
Kernpunkte der neuen DOJ-Politik
Der Fokus der neuen DOJ-Politik liegt auf der Bekämpfung der schwerwiegendsten Wirtschaftsdelikte, klareren und erweiterten Vorteilen für Unternehmen bei Selbstanzeigen, mehr Anreizen für Hinweisgeber, der restriktiveren Bestellung externer Compliance-Monitore sowie der Beschleunigung von Ermittlungs- und Strafverfahren gegen Unternehmen und der Begrenzung von Unternehmensauflagen. Die Strafverfolgung soll sich hierbei künftig an den drei Grundpfeilern „Fokus, Fairness und Effizienz“ orientieren.
Der neue “White-Collar Enforcement Plan”
Ziel des neuen “White-Collar Enforcement Plan” ist die Bekämpfung der wichtigsten Risiken für die Vereinigten Staaten und der Schutz US-amerikanischer Interessen. Der Plan enthält die folgenden Kernelemente:
▪️Fokus auf schwerwiegende Wirtschaftsdelikte
Die Ermittlungen und die Strafverfolgung sollen sich auf schwerwiegende Wirtschaftsstraftaten konzentrieren. Zu diesen zählen insbesondere die folgenden Delikte:
- Betrug und Missbrauch staatlicher Programme
- Handels- und Zollbetrug
- Kapitalmarkt- und Investorenbetrug
- Straftaten mit Bedrohungspotenzial für die nationale Sicherheit (z.B. Sanktionsverstöße und Angriffe auf das US-amerikanische Finanzsystem)
- Unterstützung terroristischer Organisationen
- Geldwäsche, insbesondere im Zusammenhang mit Drogenhandel
- Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz (Controlled Substances Act) und das Bundesgesetz über Lebensmittel, Arzneimittel und Kosmetika (Federal Food, Drug, and Cosmetic Act, FDCA)
- Bestechung und damit verbundene Geldwäsche mit Auswirkungen auf US-amerikanische Interessen
- Verstöße im Zusammenhang mit digitalen Vermögenswerten
Auffällig ist hier die explizite Aufnahme von Bestechungsdelikten, obwohl die US-Regierung die Durchsetzung des Foreign Corrupt Practices Act (FCPA) im Februar 2025 für 180 Tage ausgesetzt hatte. Das DOJ signalisiert damit, dass Bestechungshandlungen auch weiterhin verfolgt werden, sofern US-amerikanische Interessen betroffen sind.
▪️Priorisierung der Strafverfolgung
Die Einziehung und Abschöpfung von Vermögenswerten im Zusammenhang mit den vorgenannten Straftaten soll intensiviert werden, um Opfer dieser Straftaten zu entschädigen. Darüber hinaus sollen sich die Ermittlungen und die Strafverfolgung auf Täter in leitenden Positionen, Fälle mit erheblichem Schaden sowie auf Sachverhalte mit Behinderung der Justiz fokussieren.
Nicht jedes Unternehmensfehlverhalten soll zu einer strafrechtlichen Verfolgung führen. Stattdessen sollen die Verfolgung von Einzelpersonen sowie zivil- und verwaltungsrechtliche Maßnahmen priorisiert werden. Bei der Entscheidung über die Verfolgung von Unternehmen soll das DOJ insbesondere Selbstanzeigen, Kooperation und Abhilfemaßnahmen dieser Unternehmen berücksichtigen.
▪️Überprüfung und Begrenzung von Unternehmensauflagen
Unternehmensvereinbarungen (z.B. Deferred Prosecution Agreements oder Non-Prosecution Agreements) werden regelmäßig überprüft und können vorzeitig beendet werden, wenn das Unternehmen über einen längeren Zeitraum hinweg keine weiteren Verstöße begangen hat, das unternehmensspezifische Risiko erheblich gesunken ist, umfassende und nachhaltige Verbesserungen im Compliance-System umgesetzt wurden und das Unternehmen das Fehlverhalten eigenständig offengelegt hat. Künftige Auflagen sollen in der Regel nicht länger als drei Jahre dauern. Bei der Bemessung des Zeitraums sollen die Schwere des Fehlverhaltens, das Ausmaß der Kooperation und der ergriffenen Abhilfemaßnahmen sowie die Wirksamkeit des Compliance-Programms zum Zeitpunkt der Einigung berücksichtigt werden.
▪️Beschleunigung von Verfahren
Um die Belastung von Unternehmen zu reduzieren, sollen Ermittlungen beschleunigt und Verfahren zügig abgeschlossen werden.
Erweiterte Vorteile bei Selbstanzeigen
Unternehmen, die Verstöße frühzeitig und freiwillig anzeigen, umfassend kooperieren und wirksame Abhilfemaßnahmen ergreifen, können mit klar definierten Vorteilen rechnen, etwa durch kürzere Auflagen oder mildere Sanktionen. Auch bei erschwerenden Umständen sind mildere Sanktionen möglich, wenn umfassend kooperiert wurde und wirksame Abhilfemaßnahmen geschaffen wurden. Neu ist, dass Unternehmen selbst dann von den Vorteilen profitieren können, wenn ein Whistleblower den Verstoß zuerst meldet – vorausgesetzt, das Unternehmen informiert das DOJ innerhalb von 120 Tagen nach dem internen Hinweis und erfüllt die weiteren Voraussetzungen für eine Selbstanzeige.
Ausweitung des Whistleblower Awards Pilot Program
Die Leitlinie zum Whistleblower-Programm umfasst nun explizit Hinweise auf die folgenden Delikte:
- Verstöße im Zusammenhang mit transnationalen kriminellen Vereinigungen einschließlich Geldwäsche und Drogenhandel
- Verstöße gegen das Einwanderungsrecht
- Terrorismusfinanzierung
- Sanktionsverstöße
- Handels- und Zollbetrug
- Beschaffungsbetrug
Beschränkung von Compliance Monitorships
Externe Compliance-Monitore sollen nur noch in Ausnahmefällen bestellt werden, wenn dies angesichts der Schwere des Fehlverhaltens und Wiederholungsrisikos notwendig ist und andere Aufsichtsmaßnahmen nicht ausreichen. Damit will das DOJ die Belastung für Unternehmen verringern.
Fazit
Das DOJ setzt mit den neuen Enforcement Policies auf eine gezieltere, transparentere und effizientere Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität. Die DOJ-Politik betont den Schutz US-amerikanischer Interessen und will gleichzeitig unnötige Belastungen für Unternehmen vermeiden und Innovation nicht behindern. So können Unternehmen nun stärker von Selbstanzeigen und Kooperationsbemühungen profitieren. Die neuen Vorgaben gelten zunächst für die Criminal Division, könnten aber Signalwirkung für andere DOJ-Abteilungen entfalten.
Die DOJ-Politik scheint damit für eine Doppelstrategie der derzeitigen Administration unter Präsident Trump zu stehen: Zum einen soll der Schutz von US-Interessen durch einen klaren Fokus auf bestimmte relevante Deliktsbereiche gestärkt werden, zum anderen wird die Durchsetzungskompetenz strukturell neu justiert – mit mehr Effizienz, Fairness und Vorhersehbarkeit für Unternehmen. Ziel ist es, die Strafverfolgung und -verhängung klarer, kalkulierbarer und verhältnismäßiger zu gestalten und übermäßige Eingriffe zu vermeiden.
Offen bleibt jedoch, ob diese Ansätze und Versprechen auch für Non-US-Unternehmen gelten sollen oder ob vielmehr das bereits bekannte Muster fortbestehen wird, nach dem ausländische Unternehmen bei Verstößen deutlich häufiger mit harten Sanktionen und umfassenden Monitorings belegt werden als ihre US-amerikanischen Pendants. Vor diesem Hintergrund sollten Unternehmen ihre Compliance- und Meldeprozesse überprüfen und gegebenenfalls anpassen, um die neuen Chancen bestmöglich zu nutzen und Risiken entgegenzuwirken.